SPORTBUZZER: Herr Bosz, Bayer Leverkusen ist erstmals seit sechs Jahren Tabellenführer. Ist Ihre Mannschaft reif für den Titel?
Peter Bosz (57): So denke ich nicht. Für mich zählt immer nur das nächste Spiel. Ob Sie es glauben oder nicht: Es kommt vor, dass ich nicht einmal weiß, wer unser übernächster Gegner ist. Es bringt mir auch nichts, mir den Kopf zu zerbrechen, ob wir titelreif sind oder nicht. Verlieren wir zwei, drei Spiele, wäre das für niemanden mehr ein Thema, und die Medien würden vielleicht wieder von „Vizekusen“ sprechen.
Kannten Sie den Begriff „Vizekusen“, als Sie hierkamen?
Nein. Als mich damals ein Journalist darauf angesprochen hat, war ich völlig ahnungslos und musste mir das erst erklären lassen. Und wenn Sie mich fragen – „Vizekusen“ vermarkten zu lassen, ist aus meiner Sicht keine besonders gute Idee gewesen. Ich will immer gewinnen. Jedes Trainingsspiel. Jedes Kartenspiel mit meinen Kindern. Wenn mich jemand „Vizekusen“ nennen würde, würde mich das nicht froh machen. (lacht)



Stört es Sie dann auch, dass eher RB Leipzig als Bayern-Herausforderer gesehen wird als Leverkusen?
Nein, das ist doch prima. So können wir in Ruhe arbeiten.
Ihre Elf schießt Tore am Fließband – ohne Kevin Volland und Kai Havertz, die besten Schützen der Vorsaison.
Mit Kai (FC Chelsea, d. Red.) und Kevin (AS Monaco, d. Red.) haben wir beinahe 40 Scorerpunkte verloren. Uns war klar, dass wir diese beiden nicht eins zu eins ersetzen können. Die Aufgabe war es also, mit den Spielern, die wir haben, zu diesen Toren zu kommen. Anders ausgedrückt: Wenn wir nicht mehr den einen Zehner haben, der alleine für Tore sorgen kann, spielen wir eben mit zwei Zehnern, die nun jeweils die Hälfte dieser Tore erzielen. Die Spielweise einer Mannschaft darf sich ändern, nicht aber die Philosophie.
Bosz: "Ich selbst bin nie zufrieden"
Dann brauchen Sie den Stürmer gar nicht mehr, den Sie sich im Sommer gewünscht haben?
Das ist dann doch etwas komplexer. Es besteht immer die Gefahr, dass man zufrieden wird. Zufriedenheit ist im Fußball aber der Anfang vom Ende. Ich selbst bin nie zufrieden. Niemals. Wenn man in der Tabelle nach oben und dort bleiben will, muss man immer selbstkritisch sein und noch härter arbeiten als bisher. Nach oben zu kommen ist schwer. Oben zu bleiben aber noch viel schwerer.
Wie sehen Sie die Entwicklung von Havertz und Volland?
Ganz normal für den Schritt ins Ausland. Anfangs ist es schwierig, weil zur neuen Umgebung, zum neuen Klub, zu den Kollegen, zum Trainer auch noch eine neue Sprache kommt. Das braucht eine gewisse Zeit. Aber man sieht auch, dass diese Phase allmählich überwunden ist. Ich habe das 3:2 von Monaco gegen Paris gesehen, da war Kevin überragend.
Und Havertz? Ist er auf dem Weg zur Weltklasse, wie sein Trainer Frank Lampard glaubt?
Auf dem Weg – ja, ganz sicher, denn Kai hat unglaubliche Qualitäten. Aber „auf dem Weg zur Weltklasse“ ist noch etwas anderes als Weltklasse. Wer Weltklasse sein will, der muss das meiner Meinung nach in jedem Spiel zeigen. Und von dieser Kategorie gibt es auf der Welt nicht allzu viele.
Sie selbst haben mit Weltstars wie Ruud Gullit Marco van Basten oder Zinedine Zidane gespielt, sagen aber „der Spieler Bosz würde unter dem Trainer Bosz nicht spielen“.
Ganz sicher nicht. Der Trainer Bosz würde sich über den Spieler ständig ärgern. Der Spieler hatte zwar nicht die Klasse der genannten, aber eine gewisse Gewinnermentalität. Und ich hätte einen Typ wie mich dann doch lieber in der eigenen als in der gegnerischen Mannschaft gehabt.
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Können Sie sich mit Ihrer Idee von Fußball als Trainer verwirklichen?
Meine Selbstfindung als Trainer war schwierig. Anfangs wusste ich nicht, was für ein Trainer ich sein möchte. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Spiel auf der Bank: Ich hatte ein Notizbuch dabei und habe mich die ganze Zeit gefragt, ob ich mir etwas notieren muss. Und immer, wenn der Gegner am Ball war, hatte ich Angst und wusste nicht, ob ich aufspringen und schreien soll oder nicht. Hatten wir den Ball, konnte ich entspannen. Das war auch viel später noch so. Damals habe ich begriffen, dass viel Ballbesitz für mich gesünder ist. (lacht)
Bosz über möglichen Wettbewerbsnachteil gegenüber dem FC Bayern
Wie haben Sie es als Trainer empfunden, dass der Deutsche Fußball-Bund dem Wunsch des FC Bayern, sein Pokalspiel in der zweiten Runde zu verlegen, rasch nachkam, Leverkusen hingegen dafür bis vors DFB-Bundesgericht gehen musste?
Dies ist eine ganz besondere Saison, die deutlich später als sonst begonnen hat, aber zum selben Zeitpunkt endet wie üblich. Also muss in kürzerer Zeit dieselbe Anzahl Spiele absolviert werden. Werden einem Verein dann statt vier acht freie Tage zugestanden, bedeutet das einen Vorteil. Und da wir im Sommer wie die Bayern das Pokalfinale und europäisch gespielt haben, wäre alles andere als eine Gleichbehandlung eine große Ungerechtigkeit gewesen. Eben weil wir ja im letzten Bundesligaspiel des Jahres direkt gegen Bayern spielen. Unser Pokalgegner Frankfurt hat sich mit uns solidarisiert. Das war die Basis.
Glauben Sie an eine Lex Bayern beim DFB?
Wissen Sie, wie man dieses Denken in Holland nennt? Micky Mouse! Weil man sich damit selber klein reden würde, würde man es zulassen, so zu denken. Nein. So will ich nicht denken. Der FC Bayern ist ein super Verein, mit super Spielern und einer großartigen Historie. In der vergangenen Saison haben sie einen super Fußball gespielt, sehr offensiv, sehr dominant und sehr erfolgreich. Aber jetzt wollen wir sie schlagen!
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