Leipzig. Seit über zwei Monaten wird an der Umsetzung des Leipziger Modellprojekts hart gearbeitet. Zahlreiche Entwürfe haben die namhaften Profisportklubs der Messestadt in Dresden seither eingereicht, doch die erhoffte Rückkehr der Zuschauer bleibt weiterhin bloß Wunschdenken. Inzwischen hat RB Leipzig sein letztes Heimspiel absolviert und Julian Nagelsmann sowie Dayot Upamecano wurden ihrer Chance auf ein emotionales Abschiedsspiel beraubt. Auch die Handballer des SC DHfK, deren Saison immerhin noch bis Ende Juni läuft, sollen sich weiter in Geduld üben und die Mannschaftssportler im Amateurbereich dürfen gar nicht erst trainieren - während Konzerte unter Auflagen wieder möglich sind und Menschen im Biergarten die Korken knallen lassen.
Restart-19-Studie setzt nur Staub an
Für DHfK-Manager Karsten Günther sind diese Entscheidungen nicht länger nachvollziehbar. Auf der jüngsten Pressekonferenz der Grün-Weißen sprach er seine Kritik an der Politik offen aus und forderte, dass die Eventbranche nicht länger mit zweierlei Maß bemessen wird. Der Hintergrund: Ein Konzert vor wenigen (negativ getesteten, genesenen oder vollständig geimpften) Zuschauern mit strengem Hygienekonzept ist aktuell möglich, doch bei einem Sportevent ist das selbst als Modellprojekt nicht umsetzbar. „Das Ende vom Lied ist, dass sich Marko (DHfK-Spieler Marko Mamic, der in der Konferenz ebenfalls anwesend war) hier am Donnerstag mit einer Gitarre hinsetzen könnte und vor 2000 Zuschauern kroatische Volkslieder spielen könnte, aber [...] wir Handball vor 1000 Zuschauern – getestet, geimpft und mit Mundschutz – nicht veranstalten dürfen“, so Günther.



Bereits im August hatten die Handballer mit ihrer Restart-19-Studie eigentlich bewiesen, dass Veranstaltungen in der Arena bei einer Inzidenz von unter 100 praktisch ohne Infektionsrisiko durchführbar sind. Eine Studie, die laut Günther rund eine Million Euro an öffentlichen Geldern gekostet hat und seither bloß Staub ansetzt. „Zu dem Modellprojekt, wofür wir uns seit 2,5 Monaten wund arbeiten, für das wir mit einer Studie im August bereits die Basis gelegt haben, bei dem die Wissenschaft sagt, dass es mit der aktuellen Inzidenz völlig ungefährlich ist und es mit Impfen und Schnelltests einen doppelten und dreifachen Boden gibt, traut sich trotzdem niemand „Ja“ zu sagen“, so der DHfK-Manager weiter.
Bier zu zehnt, aber kein Training
Nun prüft der Verein, ob die Handball-Partie am Donnerstag gegen den HC Erlangen möglicherweise als „konzertähnliche Veranstaltung“ zählen könnte, um doch noch vor Zuschauern ausgetragen zu werden – völlig frei von den Regeln eines Modellprojekts.
Auch der Sächsische Fußballverband (SFV) will nicht hinnehmen, dass Mannschaftsport für Erwachsene weiterhin verboten ist. Mit Bezug auf die aktuelle Corona-Verordnung sagt Sprecher Alexander Rabe: „Uns fehlen die Zusätze, die das explizit verbieten. Deswegen legen wir den Verbänden nahe, sich direkt an die Landkreise und kreisfreien Städten zu wenden, um dort etwas zu erreichen.“ Rabe widerspricht damit der Interpretation des Landessportbundes (LSB), die dieser in seinen FAQs Sport niedergeschrieben hat und dort die wichtigsten Fragen rund ums Thema beantwortet.
Laut LSB-Auslegung, die momentan sachsenweit Anwendung findet, dürfen weiterhin nur Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ohne Test Kontaktsport trainieren. Obwohl die Inzidenz etwa in Leipzig inzwischen seit fast zwei Wochen unter die entscheidende 100er Marke gefallen ist.Das Problem: Die Verordnung regelt im Erwachsenenbereich keine Gruppengrößen. Deswegen gelten für sie die „normalen“ Kontaktbeschränkungen, laut denen sich unter freiem Himmel maximal zehn Personen aus zwei Haushalten treffen dürfen. Derart familiär geht es in keiner Fußballmannschaft zu. Kurios: Zehn Fußballer dürften sich (getestet, geimpft oder genesen) zu zehnt oder mehr zum Bier auf einem Freisitz treffen. Eine kontaktlose Trainingseinheit ist nicht drin.
„Wir packen die Probleme nicht mehr lösungsorientiert an“
Der SFV ist nicht nur deshalb wütend. „Aus unserer Sicht sind schon mehr Schritte möglich. Die Kontaktbeschränkungen sind mit dem Paragrafen, auf den sich alle beziehen, ohnehin ausgehebelt. Das Problem ist: Wer bestätigt einem das? Die Juristen vom Landessportbund sehen das anders und das ist nun einmal die Institution, auf die sich alle berufen“, sagt Rabe. Dort gibt man zu bedenken: „Unsere FAQs Sport besitzen keine Rechtsverbindlichkeit, auch wenn sie mit dem Ministerium abgestimmt sind“, erklärt LSB-Justiziar Hendrik Pusch. Bedeutet: Die unterschiedlichen Auslegungen der Verordnung müsste gegebenenfalls ein Gericht prüfen. Pusch sagt: „Die Verordnung ist für diejenigen im Verein, die sie anwenden sollen, schlecht zu verstehen.“



Das Grundproblem in beiden Fällen sitzt also viel tiefer – in den komplizierten und teilweise unvollständigen Verordnungen selbst. Die durchdringen nur die wenigsten Normalsterblichen, deswegen fungieren verschiedene Organisationen und Verbände als „Übersetzer“ und erklären die praktische Umsetzung der Paragrafen aus ihrer Sicht. Für den Amateursport übernimmt das eben der LSB um seinen Justiziar. Es fehlen schlicht an entscheidenden Stellen klare Formulierungen, so entstehen immer wieder Interpretations-Spielräume.
Dort setzt auch die Kritik von Alexander Rabe an: „Seit Monaten geht es Hin und Her. Mal Fünfergruppen, mal 20er Gruppen, mal bis 14 Jahre, mal bis 18 Jahre, ständig ändert sich etwas“, zählt er auf. „Wir drehen uns im Kreis, es nervt nur noch.“Und auch Karsten Günther sieht massive Probleme im System: „Wir packen die Probleme nicht mehr lösungsorientiert an, sondern schützen uns nur noch selber vor möglichen Fehlern.“ Tilman Kortenhaus und Johannes David