Den Test verpatzt und den Rekord verpasst. Die deutsche Nationalelf hat am Dienstagabend die zweite WM-Ernstfallprüfung verloren, gegen Brasilien gab es ein 0:1. Spielerisch war der Auftritt ziemlich dürftig, doch das hatte Joachim Löw einkalkuliert, weil er auf Thomas Müller, Mesut Özil (beide nur TV-Zuschauer) sowie Mats Hummels (Bank) verzichtet und eine bessere B-Elf aufgeboten hatte. Wie schon beim 1:1 gegen Spanien dürfte Löw aber nicht ganz unglücklich sein. Immerhin: Wenn der Lerneffekt einsetzt, hatte die Niederlage etwas Gutes.
Deutschland in der Einzelkritik gegen Brasilien
Deutschland muss sich strecken
Und das schien kurz nach Abpfiff schon der Fall gewesen zu sein. Denn Löws Mannen zeigten sich durchaus kritisch. „Mannschaftlich überwiegt heute klar das Negative“, sagte Toni Kroos. „Das war deutlich zu wenig von vielen heute. Da haben wir mal gesehen, dass wir nicht so gut sind, wie wir von Außen gemacht wurden.“ Auch Ilkay Gündogan bekannte: „Heute wurde uns aufgezeigt, dass es im Turnier noch einiges zu verbessern gibt.“
Der Weltmeister muss sich mit Blick auf die WM in Russland im Sommer strecken. Nix ist fix. Die Titelverteidigung wird ein harter Gang. Mit dem 0:1 endete eine Serie von 22 ungeschlagenen Spielen, die längste Erfolgsserie in der zwölfjährigen Cheftrainer-Amtszeit von Löw. Die letzte Niederlage? Am 7. Juli 2016 im EM-Halbfinale beim 0:2 gegen Gastgeber Frankreich.
Die Brasilianer dagegen waren happy. Für sie stand das Spiel unter dem Motto „Wundheilung“. Zwischen Belo Horizonte und Berlin sind es knapp9800 Kilometer Luftlinie. Zwischen dem Trauma des WM-Halbfinals von 2014, der 1:7-Demütigung, und dem ersten Wiedersehen gestern lagen genau 1359 Tage. „Die Wunde ist noch immer offen. Dieses Länderspiel ist Teil des Prozesses der Vernarbung.“, hatte Tite, der Trainer der Selecao, gesagt. Nun kann sich die Wunde etwas schließen. Die 72.717 Zuschauern im zugig-frischen Olympiastadion hatten, wenn sie mit der DFB-Elf sympathisierten, mehr Spaß am eigenen Abendsport namens „La Ola“ hatten als am Spiel selbst. Vereinzelt gab es sogar Pfiffe.

Nur drei der 7:1-Akteure von 2014 standen auf dem Platz
Zum Personal: Bundestrainer Joachim Löw nahm nach dem Test gegen Spanien (1:1 )sieben Änderungen vor: Nur Kimmich, Boateng, Kroos und Draxler blieben im Team.Von den 2014-Versagern der Selecao durften sich gestern Marcelo, Paulinho und Fernandinho rehabilitieren. Thiago Silva war damals gesperrt – sein Glück. Auf DFB-Seite standen mit Toni Kroos, Jérome Boateng und Julian Draxler, damals eingewechselt, auch nur drei der 7:1-Akteure von 2014 auf dem Platz.
Das Rahmenprogramm immerhin stimmte: Die Frohsinn und gute Laune verbreitende Hymne der Brasilianer wurde von den deutschen Fans nicht ausgepfiffen, es gab sehr freundlichen Applaus. Gut so – schließlich wollte sich der DFB von seiner besten Seite zeigen als Kandidat für die EM 2024. Beim Einlaufen der Teams wurde schwarz auf weiß per Zettel-Choreographie die Botschafter der Bewerbung präsentiert: „United by Football“, auf Deutsch lautet das Motto: Vereint im Herzen Europas. Philipp Lahm, 2014 in Brasilien Kapitän, nun Botschafter der 2024-Bewerbung, sagte vor Anpfiff: „So ein 7:1 wird so schnell nicht nochmal passieren. Das wird ein anderes Spiel.“
Internationale Pressestimmen zur DFB-Pleite gegen Brasilien
Am Ende war es nur ein Test
Wurde es auch. Und nach einer halben Stunde stand es 0:0 – für die Brasilianer schon ein Erfolg, verglichen mit 2014 als es nach nur 29 Minuten bereits 0:5 stand. Na gut, kein Salz mehr in die Wunde. Denn dann sorgten die Gäste für Pfeffer im Spiel: Willian durfte von der rechten Seite flanken, zwischen Boateng und Kimmich stand Gabriel Jesus am Fünfmeterraum blank und köpfte mittig aufs Tor. Keeper Kevin Trapp konnte den Ball nicht festhalten, also mitschuldig am 0:1 (38.). Danach bekam Brasilien Oberwasser. Vor allem ab Beginn der zweiten Hälfte erspielten sie sich ein Übergewicht, ließen Ball und Gegner laufen – phasenweise war das „joga bonito“, das schöne Spiel zu sehen.
Brasiliens WM-Drama von 2014: Was machen die Akteure aus dem Halbfinale heute?
Und Löw? Wechselte, um neuen Schwung zu bringen. Lars Stindl, Julian Brandt, Sandro Wagner und Timo Werner kamen, weitere Testkandidaten der Kategorie zweiter oder dritter Anzug. Doch die DFB-Elf wurde, wie schon im ersten Durchgang, nur nach Flanken gefährlich. Entweder auf Mario Gomez oder Sandro Wagner – das war unter dem Strich zu dünn.
„Es war ein komisches Spiel heute“, sagte Torwart Trapp, der anstelle von Marc-André ter Stegen und am Geburtstag von Manuel Neuer – er absolvierte gestern ein Lauftraining – zwischen den Pfosten stand. „Die Brasilianer haben es gut gemacht, aber das Spiel hätten wir nicht verlieren dürfen.“
Löw analysierte anschließend: „Es war ein Test.“ Und das habe man der Mannschaft angemerkt. Und dann gab der Bundestrainer ehrlich zu: „Das war nicht unser Tag heute.“ Er bemängelte: „viele Ballverluste. So sind wir nie in die Gänge gekommen. Das Umschalten nach Ballgewinn hat mit ein bisschen gefehlt, und auch die Körpersprache von einigen. Das war heute keine ganz runde Leistung von uns. Jeder hat auf seiner Position mit sich selbst gekämpft.“ Aber am Ende war es eben nur ein Test.
Anzeige: Erlebe die gesamte Bundesliga mit WOW und DAZN zum Vorteilspreis