Christian Prokop ist seit Juli 2017 Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft. Unter seiner Regie erkämpfte die DHB-Auswahl im Februar bei der Heim-Weltmeisterschaft Rang vier und eroberte die Herzen der Fans. Am Sonnabend kommt der 40-Jährige zu einem Trainer-Workshop nach Potsdam. Im Interview spricht der Coach über schnörkelloses Tempospiel und die realistische Chance des THW Kiel auf den Meistertitel.
Herr Prokop, was haben Sie gedacht, als die Anfrage für einen Workshop kam: Kein Ausflug mit der Familie an den Badesee, sondern schon wieder ein Pflichttermin am Wochenende?
Christian Prokop: Nein, überhaupt nicht. Ich brauchte nicht darüber nachzudenken, als mich mein Co-Trainer Alexander Haase gefragt hat, ob ich Lust und Zeit habe. Ich stehe gerne mit meinen Trainerkollegen auf dem Spielfeld und tausche mich aus. Ich freue mich auf Fragerunden und neue Einblicke. Außerdem ist es wichtig, nach der Weltmeisterschaft auch an der Basis viel präsent zu sein und den Schwung des Turniers zu nutzen.
Hat die Weltmeisterschaft für den erhofften Schwung gesorgt?
Aus meiner Sicht ja. Auch jetzt, vier Monate nach dem Ende das Turniers, schlagen uns als Nationalmannschaft immer noch unglaubliche Sympathien und Freude entgegen. Das Turnier war in jedem Fall ein Gewinn, was das Image und die Popularität des Handballs betrifft.
Zeugnisse zur Handball-WM: Die deutsche Mannschaft in der Einzelkritik
Trotzdem verschwindet der Handball nach großen Ereignissen schnell wieder aus dem Fokus der breiten Öffentlichkeit. Dieses Schicksal teilt ihre Sportart übrigens mit der Frauenfußball-Nationalmannschaft, die in Kürze bei der WM antritt.
Was die Einschaltquoten bei den öffentlich-rechtlichen Sendern betrifft, teile ich natürlich ihre Meinung. Aber das ist normal, man muss sich auch nicht darüber ärgern. Schön ist, dass wir jedes Jahr ein Highlight haben, das im Öffentlich-Rechtlichen läuft, in Olympia-Jahren sogar zwei Höhepunkte. Wenn wir es schaffen, nach Tokio zu kommen, können wir den Handball dort wieder stark vertreten. Mit den Übertragungsrechten von Sky haben wir – wenn auch bezahlpflichtige – Übertragungen jedes Bundesliga-Spieltages. Medial ist das für uns ein Fortschritt.



Am Sonntag fällt in der Bundesliga der Schlussakkord im Meisterrennen zwischen der SG Flensburg-Handewitt und Kiel. Hat der THW noch eine realistische Chance auf den Meistertitel?
Der THW hat wegen der Konstellation am letzten Spieltag noch eine kleine Chance auf den Titel. Der Bergische HC, der mit ein bisschen Glück einen Europapokalplatz erkämpfen kann, wird alles daran setzen, gegen Flensburg zu gewinnen. Aber prozentual sind die Chancen größer, dass es Tabellenführer Flensburg-Handewitt schafft.
Wie würden Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Kiel noch Meister wird, prozentual einschätzen?
Das wäre unnötige Spielerei, da jetzt Zahlen zu nennen.
Der Handball ist auch deshalb sehr beliebt, weil die Sportart zwar durchaus Glamour versprüht, aber im Gegensatz zum Spitzenfußball, der den Kontakt zur Basis stetig verliert, einen volksnahen Eindruck vermittelt. Welche Chance bietet die aktuelle Gemengelage, um Boden auf den Fußball als Sportart Nummer eins gutzumachen?
Auch der Fußball versucht ja, mit vielen Aktionen wieder mehr Fannähe zu erzielen. Ich denke, dass wir gut daran tun, auf uns zu schauen, das Potenzial, das diese Sportart hat, den Menschen zu vermitteln. Es ist deshalb wichtig, dass wir eine Nationalmannschaft haben, die attraktiven, kämpferischen und erfolgreichen Handball spielt, um auch weiterhin viele Kinder zu begeistern.
Sie trainieren auf höchstem Niveau: Wie praxistauglich sind die Trainingsinhalte, die Sie als Bundestrainer ganz normalen Vereinstrainern von Freizeitteams vermitteln können?
Mein Fortbildungsthema in Potsdam ist das Thema Tempospiel in allen Phasen. Es geht um ein schnelles, effektives Umschalten in allen Situationen, um ein taktisches Konzept, das wir hoffentlich in dieser Trainingseinheit entwickeln können. Es ist nicht das Ziel, irgendwelche komplizierte Lauf- und Passwege einzustudieren. Das erfolgreiche Tempospiel von heute ist sehr klar und teilweise einfach angelegt. Es wäre falsch zu denken, man müsste acht Kreuzungen spielen, um frei vor dem Torhüter aufzutauchen.
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Sie haben Tobias Reichmann – der seine Enttäuschung nach der Streichung aus dem WM-Aufgebot auch öffentlich kundgetan hatte – für die beiden EM-Qualifikationsspiele in Israel am 12. Juni und gegen den Kosovo am 16. Juni in Nürnberg wieder in den Kader berufen. Was waren die Gründe? Mussten Sie länger überlegen als bei einem anderen Spieler?
Nein. Für mich war klar, dass wir nach der WM noch einmal ein ausgiebiges Gespräch miteinander führen, nachdem die Emotionen runtergefahren worden sind. Unsere gemeinsame Marschroute war, dass unser Weg weitergeht, wenn seine Leistung im Verein stimmt. Das ist umgesetzt und jetzt möchte ich auch gar nicht mehr zurückschauen. Ich freue mich auf Tobi, er ist einer der erfahrensten Spieler in dieser Lehrgangswoche, weil viele Akteure, die die WM gespielt haben, eine Pause bekommen. Da erhoffe ich mir wieder wichtige Impulse von ihm.