01. Februar 2023 / 09:54 Uhr

Chancen, Risiken, Kalkül: Das steckt hinter den langen Laufzeiten der Verträge beim FC Chelsea und Co.

Chancen, Risiken, Kalkül: Das steckt hinter den langen Laufzeiten der Verträge beim FC Chelsea und Co.

Timon Zöfelt
RedaktionsNetzwerk Deutschland
Benoit Badiashile (l.) erhielt beim FC Chelsea einen Vertrag bis 2030, Enzo Fernandez (Mitte) und Mykhaylo Mudryk sind sogar bis 2031 gebunden.
Benoit Badiashile (l.) erhielt beim FC Chelsea einen Vertrag bis 2030, Enzo Fernandez (Mitte) und Mykhaylo Mudryk sind sogar bis 2031 gebunden. © IMAGO/Sebastian Frej/Focus Images/Propaganda Photo/Getty (Montage)
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Der FC Chelsea schlug in der Winter-Wechselperiode gleich mehrfach auf dem Transfermarkt zu, stattete seine Zugänge mit teils langfristigen Verträgen über die bislang als Obergrenze geltenden fünf Jahre hinaus aus. Was steckt dahinter? Der SPORTBUZZER erklärt die Hintergründe.

Der FC Chelsea lässt dieser Tage mit einer beachtlichen Transfer-Offensive aufhorchen. Allein in der laufenden Winter-Wechselfrist investierten die Londoner um den neuen Klub-Eigentümer Todd Boehly etwa in die Verpflichtungen von Argentiniens Weltmeister Enzo Fernandez (für 121 Millionen Euro von Benfica Lissabon), Mykhaylo Mudryk (für eine Ablöse in Höhe von 70 Millionen Euro von Schachtjor Donezk), Benoit Badiashile (38 Millionen, AS Monaco) oder David Datro Fofana (zwölf Millionen, Molde FK) erhebliche Summen. Dabei springen jedoch nicht nur die horrenden Ablösen, sondern auch die Vertragslaufzeiten einiger neuer Chelsea-Stars ins Auge. Fofana, unterschrieb bis 2029, Badiashile bis 2030 und bei Mudryk sind es sogar siebeneinhalb Jahre bis 2031.

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Bei den "Blues" sind derart langfristige Kontrakte schon längst gängige Praxis. So unterzeichnete etwa Wesley Fofana (80,4 Millionen) im vergangenen Sommer ein Arbeitspapier bis 2029, auch die Zusammenarbeit mit dem nach Saisonende von Olympique Lyon kommenden Malo Gusto (30 Millionen Euro) ist für siebeneinhalb Jahre – und damit deutlich länger als die bisher als Obergrenze geltenden fünf Jahre – ausgelegt. Der jüngste Millionen-Einkauf Fernandez soll Berichten zufolge gar bis 2031 unterschrieben haben. Ist derlei überhaupt erlaubt? Tatsächlich ist das Fünf-Jahres-Maximum in den FIFA-Statuten festgehalten, lässt jedoch insofern Ausnahmen zu, als dass der Abschluss entsprechender Verträge mit längeren Laufzeiten mit den nationalen Rechtsvorschriften vereinbar sein muss. Ein Verbot dafür gibt es in England nicht.

Doch warum binden Klubs wie Chelsea ihre Spieler über einen solch langen Zeitraum? "Dieser Trick hat einen bilanziellen Hintergrund, um die Regeln der UEFA einzuhalten", begründet Sportrechtler Gregor Reiter im Gespräch mit dem SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), und verweist dabei auf die ab 2025 geltenden Financial-Sustainability-Regeln des Verbands. "Die ordnen an, dass erstmalig die Personalkosten in einer bestimmten Relation zum Umsatz stehen müssen. Teil der Personalkosten sind die Anschaffungskosten auf die Spiellizenz – also die Ablösesummen", erklärt Reiter. Konkret: Ab der Saison 2025/2026 dürfen die Personalkosten für Spieler und Trainer, sowie die Zahlungen an Berater und auf Ablösen nicht mehr als 70 Prozent des Umsatzes ausmachen.

Doch worin liegt nun der Trick? Laut Reiter gibt es die Möglichkeit, die Transfer-Verbindlichkeiten über die Länge des Arbeitsvertrags abzuschreiben. "Je länger ich abschreiben kann, desto niedriger ist der Teil, der in die Relation mit einzubeziehen ist. Das heißt, ich verschaffe mir damit mehr Spielraum bei Transfers", so der Rechtsanwalt. Reiter rechnet in kleinen Dimensionen vor: "Wenn ich in Deutschland einem Arbeitnehmer einen Zehn-Jahres-Vertrag gebe, der zehn Millionen Euro gekostet hat, dann muss ich in jedem Jahr eine Million abschreiben und nicht wie bei einem Fünf-Jahres-Vertrag in jedem Jahr zwei Millionen. Ich gewinne also eine Million Euro gegen die Obergrenze."

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Ist ein solches Verfahren auch in Deutschland denkbar?

Dass auch die Bundesliga-Klubs auf den Zug aufspringen, glaubt Reiter nicht. Dies sei zwar denkbar, ergebe aber "keinen Sinn". Die Erklärung: "Bei einer ursprünglichen Befristung von mehr als fünf Jahren ordnet § 15 Abs. 5 TzBfG (Teilzeitbefristungsgesetz, Anm. d. Red.) an, dass der Spieler als Arbeitnehmer mit dem Ablauf des fünften Jahres ein ordentliches Kündigungsrecht erhält. Der Arbeitgeber, also der Verein, erhält dies nicht. Anders als der Arbeitgeber kann ein Arbeitnehmer nicht für mehr als fünf Jahre auf sein ordentliches Kündigungsrecht verzichten. Eine abweichende Vereinbarung wäre unwirksam. Der Arbeitnehmer kann auch erst nach dem Entstehen des Kündigungsrechts, also nach dem fünften Jahr, auf dieses verzichten. Das hätte dann eine erneute fünfjährige Bindung zur Folge." So werde man auch in Zukunft in Deutschland nur selten länger geltende Verträge finden.

Zumal das Prozedere auch Risiken birgt. "Super-Gau ist, der Spieler verletzt sich längerfristig und findet danach nicht zur alten Form zurück, ist aber noch auf Jahre gebunden", sagt Reiter. Vereine laufen folglich Gefahr, ihre Profis bei Verletzungen oder schlechter Entwicklung nicht mehr loszuwerden – und das bei gleichbleibendem Gehaltsniveau. Auch eine Trennung vor Vertragsablauf könnte zu einem Problem werden. "Dann muss der Verein die restliche Ablösesumme, die da noch steht, mit einem Schlag komplett abschreiben", warnt der Rechtsanwalt: "Wenn ein Verein in einer Saison mehrere große Abschreibungen vornehmen muss, dann kann mir das System plötzlich in einem Jahr auf die Füße fallen. Dieses Vorgehen ist eher ist kurzfristig gedacht und hat auch nur einen Einmal-Effekt." Die Methodik zeuge "eher davon, dass die Klubs eine schlechte Bilanz-Planung haben."

Mehr Planungssicherheit in der aktuellen Situation gewährleistet ein Kontrakt über die fünf Jahre hinaus zumindest in England aber doch. So verringert sich die Chance, einen jungen oder wichtigen Spieler nach Vertragsende ablösefrei zu verlieren, wie etwa der FC Chelsea zu Saisonbeginn in Antonio Rüdiger (wechselte zum Nulltarif zu Real Madrid). Entwickelt sich der Spieler gut, sitzt zudem der Verein bei den Gehaltsverhandlungen am längeren Hebel. In welche Richtung das Pendel künftig ausschlägt, wird sich zeigen. Ein wirtschaftliches Risiko ist das "neue" Vertragskonstrukt aber allemal.

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