16. März 2023 / 17:06 Uhr

Christian Streich vor größtem Spiel seiner Karriere: Wie der Freiburg-Trainer an seinem Denkmal feilt

Christian Streich vor größtem Spiel seiner Karriere: Wie der Freiburg-Trainer an seinem Denkmal feilt

André Batistic und Sönke Gorgos
RedaktionsNetzwerk Deutschland
Christian Streich hat als Trainer des SC Freiburg Maßstäbe gesetzt.
Christian Streich hat als Trainer des SC Freiburg Maßstäbe gesetzt. © IMAGO/foto2press
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Der SC Freiburg empfängt am Donnerstagabend Juventus Turin – nicht zu einem Testspiel, sondern zu einem Pflichtspiel in der Europa League. Großen Verdienst an diesem Erfolg hat vor allem der Trainer, Christian Streich.

Es sei schön, sagte Christian Streich gerade anlässlich seiner neuerlichen Vertragsverlängerung beim SC Freiburg, weiterhin gern in sein Trainerbüro zu kommen. Es sei ihm "eine Freude, gemeinsam mit meinen Trainerkollegen bei diesem Verein weiter arbeiten zu können". Was nach einer netten, aber doch auch irgendwie austauschbaren, gar beliebigen Floskel klingt – einem Satz, den ein Trainer anlässlich der Verlängerung einer Zusammenarbeit nun mal so sagt – ist im Fall von Streich und "seinem" SC nicht nur eine wohlige Wunschvorstellung, sondern seit langer Zeit gelebte Praxis. Die Beziehung zwischen Verein und Trainer ist zu einer Symbiose geworden, das eine scheint ohne das andere nicht mehr denkbar.

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Das ist der Verdienst beider Seiten. Als Streich, für den das Achtelfinal-Rückspiel in der Europa League gegen Italiens Rekordmeister Juventus Turin am Donnerstagabend (18.45 Uhr, RTL+) ein besonderes Karriere-Highlight ist, vor mittlerweile elf Jahren kurz nach Weihnachten 2011 den Trainerjob bei den Breisgauern übernahm, galt der SC zwar nach den langen Amtszeiten von Volker Finke (1991 bis 2007) und Robin Dutt (2007 bis 2011) als ein besonderes Biotop in Übungsleiter-Fragen. Doch Streich, der auf den glücklosen Marcus Sorg folgte, hatte nur erkleckliche Profi-Erfahrungen gesammelt: Als Jugendtrainer beim SC zwischen 1995 und 2011 und als Assistent von Dutt und Sorg. Konnte so einer in der Bundesliga erfolgreich arbeiten? 430 Spiele später lässt sich mit Fug und Recht sagen, dass Streich jeden Zweifel an dieser Frage ausgeräumt hat.

Christian Streich beim SC Freiburg auch nicht ohne Misserfolge

Denn natürlich waren die Jahre unter dem Mann mit dem breiten alemannischen Dialekt nicht ohne Misserfolge – man denke an den Bundesliga-Abstieg im Jahr 2015 – doch Streich erreichte im Angesicht allseitiger Treue selbst beim Gang in die Zweitklassigkeit etwas, das sich vermutlich jeder Bundesliga-Manager bei der Trainerwahl aufs Sehnlichste wünscht: Verlässlichkeit, Berechenbarkeit in internen Fragen – und eine letztlich stetige Entwicklung in totaler Stabilität. Und die vermittelt Streich wie kein Zweiter in der Bundesliga. Der Trainer und sein Stab würden "Tag für Tag sehr detailverliebt und mit maximalem Einsatz an der Entwicklung unserer Mannschaft" arbeiten, unterstrich SC-Sportvorstand Jochen Saier, der von einer "inhaltlich wie menschlich sehr besonderen Konstellation" schwärmte, die sich nicht zuletzt durch ihre Unaufgeregtheit auszeichnet - auch jetzt, nach einer 0:1-Niederlage in Turin.

Das Rückspiel gegen die "Alte Dame" Juventus, über viele Jahre die Dominatorin in Italiens Serie A, ist natürlich eine besondere Partie für den vergleichsweise bescheidenen Verein aus dem äußersten Südwesten Deutschlands, der sich zuletzt allerdings in der erweiterten Spitzengruppe der Bundesliga festsetzen konnte. "Wir müssen alles dafür tun, dass wir das Stadion hinter uns bekommen und dann weiß man, wie Fußball ist. Fußball in unberechenbar", sagt Streich, der die Freiburger als krassen Außenseiter sieht: "Alles außer einem Weiterkommen von Juventus ist eine riesige Überraschung. Wir probieren es." Und zwar im beruhigenden Wissen, dass ein Sieg kein Muss ist. Erfolg definiert sich in Freiburg mehr als an anderen Orten vor allem langfristig.

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Christian Streich beim SC Freiburg – auch stets politisch gefragt

Das macht sich auch an der Kader-Zusammenstellung bemerkbar. Quertreiber oder Wandervögel will Streich in seinen Reihen gar nicht haben, sondern die Spieler lieber entwickeln: "Wir brauchen hungrige, sozialintelligente, fußballverrückte Jungs. Alles andere kannst du vergessen. Wenn einer das mitbringt, kann er ruhig ein paar andere Defizite haben. Er ist dennoch am richtigen Ort", sagte der Coach einst. Für die fußballerische Ausbildung sorgt dann der Trainer, der in diesem Fall ein echter Fußball-Lehrer ist – und die Entwicklung seiner Profis auch grenzüberschreitend verfolgt. Es habe einen "enormen Reiz, wenn ich Spieler wieder treffe, die hier ausgebildet wurden und dann bei einem großen Verein spielen", verriet Streich. "Dann hat man es zusammen geschafft, den Spieler dorthin zu bringen."

Mit zur fußballerischen Ausbildung gehört beim Freiburger Coach auch ein Blick über den Tellerrand. Einfach nur Fußballspielen? Das ist Streich – einer der wenigen Trainer, die oftmals auch zum politischen Weltgeschehen Stellung beziehen – zu wenig: "Er hat die Bundestagswahl bei einer seiner Ansprachen eingebaut und uns daran erinnert, dass wir nicht vergessen, unsere Stimme abzugeben", plauderte Maximilian Eggestein kürzlich aus. Da passt es nur allzu gut ins Bild, dass Streich im Frühjahr 2022 einer der Wahlmänner bei der Wahl des Bundespräsidenten war. Es sei ein "schöner Akt" gewesen, der ihn "bewegt" habe, gab er abschließend zu Protokoll. Nun hoffen die Freiburg-Fans, dass der "präsidiale Herr Streich" ihr Team ins Europa-League-Viertelfinale führt – als Trainer.

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