Mit großer Empathie hat Joachim Löw seinen Verzicht auf langjährige Nationalspieler wie Julian Draxler und Julian Brandt bei der anstehenden Europameisterschaft erklärt. Die Anrufe bei gestrichenen EM-Kandidaten seien alles andere als einfach. Bei einigen Profis könne man sich vorstellen, dass "eine Welt zusammenfällt", berichtete Löw, ohne sich dabei auf konkrete Namen zu beziehen. Das tue ihm als Bundestrainer "schon auch immer weh". Manche Spieler seien schon länger dabei "und fokussieren alles auf so ein Turnier", sagte der 61-Jährige bei der Bekanntgabe seines Aufgebots am Mittwoch: "Und dann kann man sich vorstellen, wie sie sich fühlen. Da kann ich mich schon hineinversetzen, das ist nicht immer angenehm."
So reagierte auch Draxler nach Angaben von Löw mit großer Enttäuschung auf die Absage. "Julian Draxler ist ein Spieler, mit dem ich auch persönlich ein sehr gutes und enges Verhältnis habe", sagte der Bundestrainer. Der Mittelfeldspieler von Paris St. Germain habe "extrem gute Fähigkeiten", betonte Löw, ergänzte aber: "Wenn ich die letzten zwei drei Jahre sehe, hat er wenig oder unregelmäßig gespielt." Dabei sei der 27-Jährige zwar auch immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen worden, habe "sein Potenzial aber vielleicht auch nicht immer gezeigt."
Draxler hatte zuletzt seinen Vertrag bei PSG bis 2024 verlängert. "Ich würde ihm wünschen, dass er dort auch eine andere Rolle findet, dauerhaft, dass er vielleicht auch in die Nationalmannschaft zurückkehrt", sagte Löw, der als Bundestrainer nach der EM aufhören wird. Mit dem 2019 ausgemusterten Jérôme Boateng habe er vor der Nominierung nicht telefoniert, berichtete Löw, der die mit dem Bayern-Abwehrspieler zunächst aussortierten Mats Hummels und Thomas Müller für die EM zurückholt.
Löw: Draxler und Brandt mit zu "wenig Spielzeit"
Im Fall von Brandt, der ebenfalls als hochveranlagt gilt, sein Talent im DFB-Dress aber nur selten komplett abrief, spielten bei der Absage ebenfalls geringe Einsatzzeiten im Verein eine Rolle. Der 25-Jährige kam bei Borussia Dortmund seit Anfang Februar nur einmal über volle 90 Bundesliga-Minuten zum Zuge. "Er ist ein Klasse-Fußballer", meinte Löw: "Aber wenn ich die letzten Monate sehe, war es relativ wenig Spielzeit."
Musiala erhält EM-Vorzug vor Wirtz
Mit Blick auf die deutschen 18 Jahre alten Top-Talente entschied sich der Bundestrainer für eine Nominierung von Jamal Musiala vom FC Bayern und verzichtete auf den Leverkusener Florian Wirtz. "Beide sind außergewöhnlich gut für ihr Alter", meinte Löw und gab zu verstehen, dass die internationale Erfahrung den Ausschlag für Musiala gegeben habe: "Er hat schon in der Champions League gespielt." Wirtz solle sich nun bei der anstehenden U21-EM und wohl auch bei den Olympischen Spielen weiterentwickeln. "Er wird seinen Weg bei der Nationalmannschaft auf jeden Fall machen", sagte Löw.
Der Bundestrainer nominierte 26 Profis für das Turnier in diesem Sommer (11. Juni bis 11. Juli). Neben Draxler, Brandt und Wirtz fehlen mit Jonathan Tah (Bayer Leverkusen) und Amin Younes (Eintracht Frankfurt) weitere prominente Namen im Aufgebot.