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„Heidi Wegner?“, erwidert der Mann am Wolgaster Sandberg. „Die wohnt im gelben Haus neben dem großen Ahornbaum. Ist eine ganz Nette. Und unglaublich engagiert“, schickt der Nachbar ungefragt hinterher.
„Fußball-Omi“ wird sie mittlerweile oft genannt. Heidi Wegner ist 75, und seit mehr als 50 Jahren bestimmt der Sport ihr Leben. „Ich habe kein Problem damit, wenn mich die Leute so nennen. Es stimmt ja auch. Ich bin sogar schon Uroma“, sagt die Frau im weißen Polo-Shirt und lächelt.
Fotos aus der Karriere von Deutschlands ältester Schiedsrichterin:
"Das war mein größter Regelverstoß"
Die burschikose Rentnerin mit den grauen kurz geschnittenen Haaren redet ohne Punkt und Komma. Sie hat ganz viel erlebt. Und ganz viel Interessantes zu erzählen: Von ihrem ersten Fußball-Einsatz im Jahr 1968 auf dem Schlacke-Platz der Peene-Werft. Über den Ex-Bundesligaprofi Axel Kruse, den sie als Knirps trainierte. Von den Zigtausenden Spielen, die sie als Schiedsrichterin leitete. Und über das Tor, das sie beim Spiel zwischen KKW Greifswald und Hansa Rostock gab: „Das war mein größter Regelverstoß“, sagt sie staatstragend und hebt mahnend den Zeigefinger. Wegner hatte auf Elfmeter für Greifswald entschieden. Der Ball springt von der Latte zurück, der Spieler schießt ihn rein. Wegner gibt den Treffer, der laut Regel keiner war. „Zum Glück hat Hansa mit 3:2 gewonnen. Sonst hätten sie wohl Protest eingelegt.“ Wegner wirkt betroffen, als wäre die Geschichte gestern passiert. Dabei liegt der „Vorfall“ Jahrzehnte zurück.
"16 rote Karten, die meisten berechtigt"
Die Wolgasterin, sie die älteste aktive Unparteiische in Deutschland, weiß alles noch ganz genau: „16 rote Karten habe ich verteilt. Die meisten berechtigt“, ist sie sicher. Ihr Führungsstil: „Ich bin ein harter Widder“, sagt sie und hält kurz inne. „Das war früher. Jetzt setze ich mehr auf Kommunikation.“ Sie habe sich angewöhnt, nicht mehr jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. „Ich habe hier manchmal ein 150er Ofenrohr zwischen“, sagt sie und deutet auf ihre beiden Ohren. „Manchmal schalte ich auf Durchzug, wenn mir ein Spieler komisch kommt“, erklärt sie mit ihrem Vorpommern-Platt-Dialekt.
In der Region ist Wegner auf und neben dem Platz bekannt wie ein bunter Hund. Ihr Zuhause – Fußball-Plätze. Einen der jüngst vergangenen Sonnabende verbrachte sie bei einem Knirpsen-Fußballturnier in Wolgast. Am Sonntag war sie in Zinnowitz auf der Insel Usedom bei den G-Junioren als Staffelleiterin und Turnierchefin im Einsatz. „Nichts Besonderes“, winkt sie ab. „Ich bin fast immer für den Fußball unterwegs. Einer muss sich doch kümmern.“

Ende als F-Jugend-Trainerin: "Habe lange gebraucht, um darüber hinweg zu kommen"
Gekümmert hat sich die 75-Jährige ihr ganzes Leben lang. Meistens um den Fußball. „Ich habe einfach Spaß daran. Es geht um den Zusammenhalt, das Wir-Gefühl. Aber auch um Disziplin. Ich kann nicht ohne Kinder und Fußball sein.“ Es war ein herber Schlag, als sie vor einiger Zeit ihre F-Jugend-Kinder-Mannschaft abgeben musste. „Ich will darüber nicht mehr reden. Ich habe lange gebraucht, um darüber hinweg zu kommen“, sagt Heidi Wegner. Ihre Gesichtszüge werden härter. Es ist zu sehen, dass sie es nicht verwunden hat, die Mannschaft in die Hände eines jüngeren Trainers zu geben. „Ich habe kurz darüber nachgedacht, alle Ämter aufzugeben. Aber ganz viele Sportfreunde haben mich ermutigt, als Schiedsrichterin und Funktionärin weiterzumachen.“
Während sie erzählt, zeigt sie eine Autogrammkarte von Bastian Dankert. „Für meine Heidi“, steht darauf. Dazu hat der Geschäftsführer des Landesfußballverbandes und Bundesliga-Schiedsrichter aus Rostock einen Smiley gemalt. „Heidi Wegner ist und bleibt ein Vorbild – nicht nur für die Schiedsrichterinnen, sondern auch für die männlichen Kollegen. So lange am Ball und an der Pfeife zu bleiben, ist bemerkenswert und verdient Hochachtung. Vermutlich gibt es so etwas in Deutschland, vielleicht sogar weltweit, kein zweites Mal“, würdigt Torsten Koop, Vorsitzender des Schiedsrichterausschusses in Mecklenburg-Vorpommern das Original aus dem Nordosten. Präsident Joachim Masuch ist froh, die Enthusiastin in den eigenen Reihen zu wissen: „Sie ist seit Jahrzehnten ein Vorbild im Ehrenamt. Sie hat stets Verantwortung übernommen. Dafür sind wir ihr sehr dankbar.“



"Der Fußball sollte Fußball bleiben, kein Geschäft"
So schwer Wegner der Abschied von den Kindern als Trainerin auch fiel – das Ende ihrer beeindruckenden Karriere soll es nicht werden. „Der Fußball braucht Helfer im Hintergrund.“ So einfach ist das für Wegner, die 1968 als Gärtnerin der Werft auf einem Sportplatz zu tun hatte. Damals kam sie mit dem Fußball in Berührung und seitdem nicht mehr los. Dass es bei den Profis zunehmend um immer mehr Geld geht, stört sie. „Der Fußball sollte Fußball bleiben, kein Geschäft. Mir ging es nie ums Geld“, schwört Wegner, die treue Seele. 1968 wurde sie Mitglied bei Motor Wolgast, der seit der Wende Rot-Weiß heißt. „Niemals“, sagt die Frau mit dem schmalen Gesicht und zieht die erste Silbe des Wortes wie einen Kaugummi in die Länge, „wäre ich auf die Idee gekommen, Rot-Weiß zu verlassen. Mir ist Geld geboten worden. Aber das kam nie infrage.“ Sie habe „mehrere Abwerbungsangebote“ ausgeschlagen.
Kritik am DFB
Vom DFB, der ihre Arbeit mit der Ehrennadel – der höchsten Auszeichnung – würdigte, wünscht sie sich „mehr Engagement für die kleinen Klubs ganz unten“. Es reiche nicht, wenn man sich auf die Top-Talente konzentriere und zur WM ein Ballpaket an die Vereine verschickt, kritisiert die Frau mit dem großen Herz für die Kleinen.
Das Amateurfußball-Bündnis #GABFAF berichtet regelmäßig über Probleme bei Amateurvereinen. Hier eine Auswahl an Klubs, die davon profitiert haben:
Am liebsten pfeift sie Alte Herren
Mehrere Tausend Spiele hat die aus Zinnowitz auf Usedom stammende Frau seit 1969 gepfiffen – von den Junioren bis zu den Alten Herren. Die mag sie besonders. „Die gehen nicht mehr so hart zur Sache, weil sie wissen, was Verletzungen im Alter bedeuten.“ Ihre eigene Konstitution: „Alles bestens“, versichert Wegner, die nach strengen Zeitplan lebt und immer Dienstag in der Sauna schwitzt. „Wenn möglich, erledige ich alles mit dem Fahrrad. Unser Auto steht ein Stück weg vom Haus. Wenn ich es hole, flitze ich 270 Meter hin und zurück. Erst bergab, dann bergauf“, erzählt die Frau im Trikot ihres Heimatvereins.
Ihr Mann Heinz (80), von dem sie behauptet, er sei mindestens genauso fußballverrückt wie sie, hat die Post geholt. Wegner blättert alle Kuverts durch. „Die Schiedsrichterzeitung ist da. Da muss ich gleich reinschauen. Da stehen wichtige und interessante Sachen für uns drin“, freut sie sich. Es ist Zeit, den Besuch zu verabschieden.
Das #GABFAF-Manifest:
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