Vor fast genau sieben Jahren, am 3. April 2016, schien die Karriere von Marius Wolf zu scheitern, bevor sie richtig begonnen hatte. 455 Zuschauer sahen ihn seinerzeit in der viertklassigen Regionalliga Nord bei der zweiten Mannschaft von Hannover 96 im Spiel bei Eintracht Norderstedt: Gelbe Karte nach 15 Minuten, nur Augenblicke später verletzt ausgewechselt – Wolf erlebte einen gebrauchten Tag. Der damals 20-Jährige war im Januar 2016 für eine Ablösesumme von 1,5 Millionen Euro und mit hohen Zielen in die niedersächsische Landeshauptstadt gewechselt. Der damalige Bundesligist sollte seine erste große Karriere-Station werden – doch stattdessen war es die sportlich wohl trostloseste Zeit überhaupt für den gebürtigen Coburger.
Ende März 2023 könnte die Realität für Wolf nicht gegensätzlicher aussehen. Bundestrainer Hansi Flick berief ihn als einen von insgesamt sechs Debütanten für den Jahresauftakt des DFB-Teams am Samstag (20.45 Uhr, ZDF) gegen Peru in Mainz und drei Tage später (20.45 Uhr, RTL) gegen Belgien in Köln. Als Rechtsverteidiger ist der ehemalige Offensivspieler mittlerweile bei Borussia Dortmund gesetzt, steht mit dem Team von Edin Terzic derzeit – pünktlich vor dem Kracher gegen den FC Bayern am 1. April – sogar an der Bundesliga-Spitze. Wolf ist trotz weiterer kleinerer Rückschläge in den vergangenen Jahren nun fraglos als Senkrechtstarter in Flicks Elf gekommen.
Marius Wolf: Pokalsieger und BVB-Hoffnungsträger
Mit dem BVB sammelte Wolf einige Champions-League-Erfahrung, mit dem sensationellen DFB-Pokalsieg 2018 als Stammspieler von Eintracht Frankfurt steht auch schon ein großer Titel in seiner Vita. Der Wechsel nach Frankfurt im Januar 2017, nach seinem desaströsen Jahr in Hannover, kam für viele überraschend – doch die Eintracht hatte den richtigen Riecher. Wolf blühte schon in der halbjährigen Leihe unter Niko Kovac auf, wurde für eine Million Euro (inklusive Leihgebühr) zur Saison 2017/2018 fest verpflichtet und zog ein Jahr später als Pokalsieger weiter nach Dortmund. Auch bei den Schwarz-Gelben durchschritt der rechte Schienenspieler viele Täler, wurde erst an den 1. FC Köln (2019/2020) und dann an Hertha BSC (2020/2021) verliehen. Mittlerweile ist er ein Garant für den Höhenflug des BVB.
Als Wolf schon früh die Schattenseiten eines Youngsters auf dem Sprung zum Profi erlebte, war Michael Krüger sein Aufbauhelfer. Der erfahrene Coach trainierte das Nachwuchsteam in Hannover, für ihn war es die letzte Station. Krüger stand sowohl bei 96 als auch zuvor beim Lokalrivalen Eintracht Braunschweig an der Seitenlinie, sah später viel von der Fußballwelt, wurde einer der erfolgreichsten deutschen Trainer auf dem afrikanischen Kontinent. An seine Zeit mit Wolf bei 96 habe Krüger "nur positive Erinnerungen", sagt er im Gespräch mit dem SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND): "Wenn sich Jungs, die mit großen Erwartungen kommen, plötzlich in der zweiten Mannschaft wiederfinden, müssen sie wieder aufgebaut werden. Das ist für alle Seiten nicht einfach."
Wolf "ist jemand, der das Vertrauen spüren muss"
Wolf erinnert sich ebenfalls noch gut an die Zeit in Hannover. "Du kommst zur ersten Mannschaft und wirst dann quasi in die zweite Mannschaft abgeschoben. Das ist nicht einfach in dem Moment", sagt der Dortmunder auf SPORTBUZZER-Nachfrage. In dieser Phase sei er aber gereift: "Vielleicht war es gut, dass es zum frühen Zeitpunkt in der Karriere passiert ist." Seine Familie habe ihm "viel Zuspruch gegeben, sie haben mich ermutigt, immer an meine Chance zu glauben". Krüger sagt über den Ex-Hannoveraner: "Er ist jemand, der das Vertrauen spüren muss, auch vom Trainer, damit er seine Leistung zeigen kann."
Mit seiner Situation sei Wolf stets vorbildlich umgegangen. "Marius präsentierte sich als guter Typ", erinnert sich Krüger und ergänzt: "Er hat sich immer voll reingehauen. Das sollte zwar selbstverständlich sein, aber ist bei Spielern in seiner Situation nicht immer gegeben." Schon damals habe der heute 27-Jährige "die fußballerischen Fähigkeiten mitgebracht, die ihn jetzt auszeichnen", sagt sein Ex-Coach und ergänzt: "Diese Karriere war damals natürlich nicht abzusehen. Ich habe ihm aber immer zugetraut, ein sehr guter Bundesliga-Spieler zu werden."
Den Weg in die Nationalelf hatte Kevin-Prince Boateng zu gemeinsamen Frankfurter Zeiten und noch wenige Monate vor dem Pokalsieg prophezeit. "Wenn der Marius nicht Nationalspieler wird, höre ich auf mit Fußball." Gerade erst habe er mit dem "Prinz" telefoniert, verriet Wolf am Mittwoch und sagte mit einem schelmischen Grinsen über seinen guten Freund: "Er ist glücklich, dass er noch ein Jahr spielen darf."
Can über Wolf: "Hat schon immer Top-Qualität gehabt"
Nationalspieler Emre Can lobte seinen Dortmunder Mannschaftskollegen. "Marius hat schon immer Top-Qualität gehabt und es in den vergangenen Wochen im Verein super gemacht", sagte der Mittelfeldspieler. Can traut Wolf sogar eine wichtige Rolle unter Flick zu: "Es ist kein Geheimnis, dass sich auf der Rechtsverteidiger-Position seit Jahren kein Spieler eingespielt hat. Marius kann die Chance nutzen, ich traue ihm das auf jeden Fall zu", so Can weiter. Wolfs Ex-Trainer Krüger schlägt in dieselbe Kerbe: "Ich würde mir für ihn und die Nationalmannschaft wünschen, wenn er das Problem auf der rechten Abwehrseite lösen könnte." Und das sieben Jahre, nachdem sein beschwerlicher Weg aus den Untiefen der Viertklassigkeit in die Spitze des deutschen Fußballs begonnen hat.
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