Es war – zumindest sportlich – die große und meistgestellte Frage vor dieser WM: Wie gut ist Deutschland wirklich, oder wie schlecht? Ist die Mannschaft nach zuletzt zwei verpatzten Endrunden unter dem neuen Trainer Hansi Flick in der Lage, wieder dorthin zurückzukehren, wo man sich eigentlich schon immer aufhielt und was dem eigenen Selbstverständnis entspricht: in die Weltspitze?
"Wenn eine deutsche Fußballnationalelf in ein Turnier geht, hat sie immer den Anspruch, es auch zu gewinnen." So formulierte es DFB-Direktor Oliver Bierhoff im Vorfeld. Die Aussagen der Spieler lagen irgendwo zwischen "mindestens Halbfinale" und "wir wollen den Titel". Schon da fragte man sich, wo die zuletzt doch arg gebeutelten Profis dieses Selbstvertrauen eigentlich hernahmen. In zehn Länderspielen dieses Jahres holte Deutschland nämlich gerade mal drei Siege. Am Mittwoch kassierte die DFB-Auswahl dann beim 1:2 gegen Japan die nächste Pleite.
Zur Erinnerung: In der jüngeren Vergangenheit gab es das historische Vorrunden-Aus bei der WM 2018. Es folgte die 0:2-Niederlage im EM-Achtelfinale 2021 gegen England. Und zwischen einigen durchaus ordentlichen Auftritten auch noch dramatische Rückschläge wie das 1:2 gegen Nordmazedonien oder die 0:6-Klatsche in Spanien.
DFB-Team vor Endspiel gegen Spanien
Gegen dieses Spanien, gegen das Deutschland im zweiten Gruppenspiel an diesem Sonntag (20 Uhr, ZDF und Magenta TV) nun unbedingt gewinnen muss, will man nicht zum zweiten Mal in Folge nach der Gruppenphase die Koffer packen. "Wir sind in einer Scheißsituation. Ja, das sind wir", beschrieb Julian Brandt die bescheidene Ausgangslage ziemlich treffend. Um vor der abschließenden Partie am kommenden Donnerstag (20 Uhr, ARD und Magenta TV) gegen Costa Rica überhaupt noch eine realistische Chance aufs Weiterkommen zu haben, benötigt die DFB-Elf eigentlich einen Sieg.
Natürlich kann die Eingangsfrage nach nur einer Partie noch nicht abschließend beantwortet werden. Dennoch verfestigte sich auch gegen Japan der Eindruck, den das Team in den letzten Jahren hinterlassen hat: Wir sind keiner mehr!
Nach dem ersten WM-Titel 1954, dem "Wunder von Bern" unter Sepp Herberger, war der Satz entstanden: "Wir sind wieder wer!" Durch den sportlichen Triumph entwickelte sich nach dem Ende der Nazi-Zeit in Deutschland ein neues Selbstwertgefühl, das auch die Nationalelf über die nächsten Jahrzehnte trug. 1974 holte die Mannschaft von Helmut Schön im eigenen Land den zweiten Stern, 1990 folgten die magischen Nächte in Italien – mit Teamchef Franz Beckenbauer, dessen einsamer Gang über den römischen Rasen nach dem 1:0-Erfolg im Finale gegen Argentinien bis heute legendär ist. Und dann wurde auch noch Joachim Löw zum Weltmeister-Macher 2014 in Rio. Es scheinen längst vergessene Zeiten.
Deutschland-Fans mit wenig Interesse und Glaube an Nationalmannschaft
Das Vertrauen hat durch die vielen Misserfolge der letzten Jahre enorm gelitten. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, dass die Hälfte aller Deutschen an eine Niederlage gegen Spanien glaubt, 55 Prozent wollen nicht mal mehr einschalten. Und gerade mal jeder Zehnte traut der DFB-Elf einen Sieg am Sonntag zu.
"Ich kann verstehen, dass bei vielen Fans Negativität aufkommt", sagte Kai Havertz und führte fast schon etwas beleidigt aus: "Ich weiß, dass immer viel gegen uns geschossen wird und nicht jeder hinter uns steht." Brandt forderte eine Trotzreaktion und meinte: "Die Partie gegen Spanien ist auch eine Chance, die ganze Stimmung wieder zu drehen." Letztmals gelang so eine Wende vor 40 Jahren bei der WM 1982 in Spanien. Nach dem peinlichen 1:2-Auftakt gegen Algerien siegte Deutschland im zweiten Gruppenspiel mit 4:1 gegen Chile und zog am Ende ins Finale ein.
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