In Frankreich begann 1960 die Geschichte der Europameisterschaft – und ebendort feierte sie 24 Jahre später ihren Durchbruch. Nach sechs dürftigen Turnieren markierte die EM 1984 die Wende zum Guten. Sie ging in die Annalen ein als erste Endrunde der vollen Stadien, der Zuschauerschnitt von 40 094 war fast doppelt so hoch wie 1980.
Wieder war die EM eine Veranstaltung für acht Mannschaften, aber nun gab es auch Halbfinalspiele. Das machte die Endrunde zur größten (15 Spiele) und, bis dahin, auch großartigsten. „Das Niveau war höher als 1980 in Italien oder bei der WM 1982 in Spanien“, sagte Michel Hidalgo, der Trainer des neuen Europameisters.
Nie zuvor und nie danach wurde eine EM so von einem Spieler dominiert
Ihm fiel das Lob besonders leicht nach einem Turnier voller Siege. „Das ist die Vollendung, ich schwimme vor Glück“, jubelte er nach dem ersten Titelgewinn des französischen Fußballs überhaupt. Und das Land schwamm mit ihm. Die Pariser tanzten auf den Champs-Élysées, dazu hörte man vieltausendfach eine Huldigung an den Kapitän: „Merci, Platini!“
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Nie zuvor und danach wurde eine Europameisterschaft stärker von einem Spieler dominiert. Michel Platini, damals 29, ging als Europas Fußballer des Jahres in die Endrunde, im Mai hatte er mit Juventus Turin den Europacup der Pokalsieger gewonnen. Er war in der Form seines Lebens. Der Gastgeber und WM-Vierte war nach dem Scheitern von Weltmeister Italien, England und den Niederlanden in der Qualifikation Favorit, zumal Titelverteidiger Deutschland schwächelte und sich regelrecht zur EM gequält hatte.
Platini hielt die Équipe Tricolore von Anfang an auf Titelkurs. Sein Tor entschied die Eröffnungspartie gegen Dänemark (1:0), seine Dreierpacks zertrümmerten Belgien (5:0) und Jugoslawien (3:2). Im Halbfinale gegen Portugal (3:2) hob er sich seinen Tormoment bis zur 119. Minute auf, im Finale (2:0) rutschte Spaniens Keeper Luis Arconada ein Freistoß des Genies durch. Neun Tore in fünf Spielen machten Platini zum Torschützenkönig. Noch immer führt er damit die ewige EM-Torjägerliste an. Cristiano Ronaldo hat ihn eingeholt, brauchte dafür jedoch 22 Spiele.



Natürlich wurde „Super-Platini“ zum besten Spieler der EM gewählt. Er erklärte seine Performance auch damit, dass er stets „eine Ahnung von dem hat, was Sekunden später zu passieren hatte“. Platini, der Prophet des Erfolgs! Es blieb der einzige in der ersten großen Ära des französischen Fußballs, in die zwei WM-Halbfinals fielen, die gegen Deutschland (1982 und 1986) verloren wurden. 1984 waren die Deutschen kein Stolperstein, denn sie kamen nicht weit genug. Diese EM, die mit dem Aus in der Vorrunde endete, ging als diejenige in die Annalen ein, bei der der DFB erstmals seinen Bundestrainer entließ. Jupp Derwall war der Leidtragende.
Karlheinz Förster: "Jupp Derwall hatte den Laden nicht mehr im Griff"
Vorstopper Karlheinz Förster (61) erinnert sich im Gespräch mit dieser Zeitung: „Jupp Derwall war 1984 stark verunsichert durch die Kritik der Boulevardpresse und hatte den Laden nicht mehr im Griff. Der Glaube an ihn war nicht mehr so da, das hat schon eine Rolle gespielt. Wenn du Titel gewinnen willst, muss alles stimmen innerhalb einer Mannschaft.“
Von Deutschland in die Welt: Sportler als Botschafter
Dabei fehlten nur 38 Sekunden im dritten Spiel. Das 0:0 hätte gereicht zum Halbfinale, als der spanische Libero Antonio Maceda eine vors Tor gedroschene Flanke in den Kasten köpfte. Nach der mühsamen Qualifikation war das Aus keine Überraschung, aber die Art und Weise wirkte wie ein Schock. Noch am Vormittag des Finales entließ der DFB Derwall, offiziell trat er zurück.