Zehn Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft 1992 in Schweden verkündete Lennart Johansson, was viele erwartet hatten. Die Mannschaft von Jugoslawien wurde wegen des Bürgerkriegs auf dem Balkan ausgeschlossen. "Wir können nicht länger so tun, als wäre nichts geschehen. Immerhin repräsentiert diese Mannschaft Restjugoslawien, und wir müssen der politischen Wahrheit ins Auge sehen", sagte der Uefa-Präsident. "Wir sind doch keine Mörder", protestierte der Serbe Dejan Savicevic vergeblich.
Die sportpolitische Entscheidung machte den Weg frei für eine der größten Sensationen des Fußballs. Der spätere Europameister kam durch die Hintertür und hieß Dänemark. Zahlreiche Legenden ranken sich um den Triumph von "Danish Dynamite" in Schweden. Die Champions kamen in Badelatschen, wurden quasi vom Urlaubsstrand geholt, feierten die Nächte durch und ernährten sich nur von Burgern – doch ganz so war es nicht.



Nur drei Tage nach Liga-Ende: Dänemark fährt zur EM
Fakt ist: Die dänische Liga endete drei Tage vor dem EM-Start, weil der Verband nicht mit einer Teilnahme rechnete. Die zwölf bei dänischen Klubs beschäftigten Nationalspieler waren also im Kampfmodus. Die acht Legionäre, die Trainer Richard Möller-Nielsen nominierte – vier aus der Bundesliga – wurden mit Extrakonditionseinheiten herangeführt. Trotzdem war die Vorbereitung kurz. Der Dortmunder Fleming Povlsen zum Kicker: "Ich glaube nicht, dass wir die Leistungen bringen können, die gegen Klassemannschaften wie England, Frankreich und Schweden gefordert werden. Wir haben keine Chance."
Doch, hatten sie. Weil sie nichts zu verlieren hatten. Bayern Münchens Star Brian Laudrup hatte seinen USA-Trip vier Tage vor Turnierende gebucht. "Wenn wir ins Finale kommen, verschiebt er seine Reise bestimmt", sagte Möller-Nielsen. Das sollte ein Witz sein. Er wurde Wirklichkeit. Mit guter Laune und wenig Druck, mit Teamgeist statt Neid. Povlsen: "Es gibt bei uns nicht die geringste Gruppenbildung." Das Finale erreichten die Dänen mit nur einem Sieg (2:1 gegen Frankreich) in der regulären Spielzeit.
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Kurios: Dänemark macht bei McDonald's Halt
Und der Weltmeister? Deutschland fuhr erstmals unter Berti Vogts zu einem Turnier und wäre in der Vorrunde ausgeschieden, wenn die bereits ausgeschiedenen Schotten die GUS (Staatengemeinschaft der früheren Sowjetrepubliken) nicht 3:0 geschlagen hätten. Vogts wirbelte sein Team, das nach der Wiedervereinigung mit den drei früheren DDR-Stars Thomas Doll, Matthias Sammer und Andreas Thom verstärkt worden war, nach der 1:3-Niederlage gegen die Niederlande durcheinander und bekannte: "Ich musste so laut wie noch nie bei der Nationalmannschaft werden und habe harte Worte gebraucht, die ich Nationalspielern gegenüber nicht gern benutze."
Es half, um Schweden mit 3:2 zu schlagen und das Finale gegen die Dänen zu erreichen. Die hatten tatsächlich vor dem Halbfinale einmal bei McDonald’s Station gemacht, weil der Bus dort vorbeifuhr und die Spieler den Trainer darum baten. Er schwieg, ließ sie erst trainieren, aber auf der Rückfahrt erfüllte er den Wunsch. Und nach dem Halbfinale feierten sie bis morgens um fünf.
Von Deutschland in die Welt: Sportler als Botschafter
Ganz anders die Stimmung im deutschen Lager. Vogts erinnert sich im Gespräch mit dieser Zeitung: "Wir hatten keine harmonierende Mannschaft. Mich wundert, dass wir überhaupt so weit gekommen sind, bis ins Finale. Da hieß es dann: Wer ist schon Dänemark?" Antwort: der neue Europameister. Noch heute beteuert Vogts: "Wir haben das nicht abgerufen, was jeder Spieler normalerweise draufgehabt hat. Deshalb war das verdient für die dänische Mannschaft. Sie haben uns geschlagen, weil wir es nicht wollten. Wir waren schuld, nicht die Dänen."