Die EM 2000 hatte noch gar nicht begonnen, da wusste Lothar Matthäus schon, dass sie kein gutes Ende nehmen würde. Nicht für Titelverteidiger Deutschland, dessen Libero er mit seinen 39 Jahren war, obwohl er sich im März bereits in die bestenfalls zweitklassige amerikanische Fußballliga verabschiedet hatte. Aber der seit 1998 amtierende Bundestrainer Erich Ribbeck klammerte sich halt an den Rekordnationalspieler.
Ausgerechnet an Matthäus wandten sich im Trainingslager auf Mallorca kurz vor dem Turnier Spieler mit der Aufforderung, gegen Ribbeck zu putschen. Am 26. Juni 2000, eine Woche nach dem kläglichen Vorrundenaus, gestand Matthäus im Kicker Ungeheuerliches: „Dietmar Hamann, Jens Jeremies und auch Markus Babbel und diverse andere bestürmten mich: Ribbeck muss noch vor der EM weg. Übernimm du seinen Posten und trainiere uns bei der Europameisterschaft.“ Auslöser war angeblich eine misslungene Abwehrvariante im Training. Matthäus lehnte empört ab.



20 Jahre später kann sich Matthäus noch an alles erinnern. Im Gespräch mit dem SPORTBUZZER sagt er: „Wir hatten anders als 1990 keine stabile, gewachsene Hierarchie in der Mannschaft. Es gab Grüppchenbildung und Eifersüchteleien, jeder hat in erster Linie nur an sich gedacht.“ Den Putschversuch bestätigt er: „Ich sollte Franz Beckenbauer anrufen und Unterstützung einfordern. Ich habe gesagt: Das mache ich nicht, die betreffenden Spieler sollten das selbst klären. Ich hatte Erich Ribbeck einiges zu verdanken, als Mensch war er gutmütig und großzügig.“ Er rief den Kaiser dann doch an, und der riet energisch ab: „Das kommt auf keinen Fall infrage.“
Dennoch: Als Bundestrainer war Ribbeck eine Enttäuschung, fachliche Defizite wurden ihm vorgehalten. Assistent Uli Stielike sprang noch im April 2000 wegen unüberbrückbarer Differenzen ab.
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Die EM, die erst im letzten Spiel durch ein 0:0 gegen die Türkei erreicht wurde, übertraf die schlimmsten Erwartungen. Ein Punkt gegen Rumänien, ein 0:1 gegen England und ein 0:3 gegen Portugals B-Elf führten in Rotterdam zum zweiten Vorrundenaus der DFB-Historie. Das wurde in der Nacht danach gefeiert, das Frustsaufen auf der Terrasse von Paparazzi abgelichtet, die Bilder steigerten nur die Wut auf die Jungmillionäre. „Da saufen sie, die traurigen Brüder. Die haben überhaupt keinen Stolz mehr“, sagte Torwarttrainer Sepp Maier den Reportern, die wie er morgens um 6 Uhr von fröhlichen Gesängen geweckt worden waren.
Von Deutschland in die Welt: Sportler als Botschafter
Die EM 2000 gebar die Weltmeister von 2014
Es hatte Folgen: Ribbeck trat zurück, es begann die Ära Rudi Völler – und überall im Land wurden Internate errichtet. Das war das Gute an der EM 2000, sie gebar die Weltmeister von 2014. 21 der 23 Spieler, die in Brasilien dabei waren, wurden in einem Internat ausgebildet.
Frankreich wurde als Weltmeister von 1998 auch Europameister, das hatte es noch nie gegeben. Im Finale gegen Italien, das bis zur 89. Minute noch führte, erzielte David Trezeguet das Golden Goal. Uefa-Generalsekretär Gerhard Aigner schwärmte: „Das war die beste Euro aller Zeiten.“ Das konnte nur jemand sagen, der kein Deutscher war.