Leipzig. Er hat für die Bayern, Newcastle, Manchester City und Liverpool gespielt, gehörte jenem legendären Reds-Team an, das 2005 im Champions-League-Finale gegen den AC Milan ein 0:3 aufholte und den Henkelpott in den Istanbuler Nachthimmel stemmte. Ex-Nationalspieler und Sky-Experte Dietmar Hamann, 47, spricht im SPORTBUZZER-Interview über die deutsch-englischen Konsultationen in der Königsklasse, den Wechsel von RB-Ass Dayot Upamecano, 22, zum FC Bayern, seinen Lieblingsspieler Emil Forsberg, 29, und die Schaffenskrise bei Borussia Dortmund.
SPORTBUZZER: 20 Minuten vorm Anpfiff der RB-Partie gegen Augsburg machte Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidzic publik, dass Dayot Upamecano in die Lederhose steigt. War der Zeitpunkt der Bekanntgabe nur suboptimal oder respektlos gegenüber den Bullen?
Dietmar Hamann (47): Das hätte man sicher anders und besser lösen müssen, nach dem Spiel wäre auch noch genug Zeit gewesen. Wobei ich nicht glaube, dass es der Wechsel bis in die Kabine geschafft hat und RB in irgendeiner Weise beeinträchtigt hat.
Sind die Bayern der logische nächste Karriereschritt für Upamecano? Und welche Rolle spielt das Geld bei derartigen Wechseln?
Ich glaube nicht, dass das Geld der entscheidende Faktor war, da dürften sich die Angebote nicht viel genommen haben. Ich finde es grundsätzlich gut, dass so ein toller Junge der Bundesliga erhalten bleibt. Liverpool, Manchester United oder Chelsea wären für Upamecano vielleicht die größere Herausforderung gewesen. Aber bei diesen Klubs hätte er nicht die Gewähr gehabt, in der kommenden Saison in der Champions League zu spielen. Bei Bayern weißt du, dass du in fünf Jahren mindestens vier Mal Meister wirst.
Wenn sich Upamecano für die Premier League entschieden hätte ...
… hätten die Bayern ein großes Problem gehabt. David Alaba verlässt die Bayern, Jerome Boatengs Zukunft ist ungewiss. Die Bayern sind angewiesen auf einen Mann wie Upamecano. Der bringt Tempo in die Abwehr. Und Tempo brauchst du, wenn du so hoch angreifst wie die Bayern. Für mich ist Upamecano der beste Innenverteidiger in der Bundesliga und hinter Virgil van Dijk einer der Besten in der Welt. Er ist erst 22, höllisch schnell, gehört zu den wenigen Verteidigern, die gerne und gut gegen Robert Lewandowski spielen. Er muss und wird sich technisch verbessern.
Am Dienstag spielt RB gegen den kriselnden FC Liverpool. Laut Roy Keane ist Liverpool ein lausiger Meister.
Keanes Kritik ist völlig überzogen. In Liverpool hat sich keiner im Erfolg gesonnt, die Probleme sind zu erklären. Es fehlte ja nicht nur van Dijk, sondern auch Joel Matip und Joe Gomez. Wenn die komplette Innenverteidigung wegbricht, kann das auch ein FC Liverpool nicht verpacken. Thiago sollte die Fäden ziehen, kommt mir immer noch wie ein Fremdkörper vor. Dazu kommt die kurze Pause, die Terminhatz. Frische, Dominanz und Durchschlagskraft fehlen. In ihren Glanzzeiten haben sie den Gegnern die Luft zum Atmen genommen. Momentan müssen sie sehr hart für jeden Sieg arbeiten. Ich mache mir aber keine grundsätzlichen Gedanken um Liverpool. Jürgen Klopp hat Großartiges geleistet, das Fundament für dauerhaften Erfolg ist vorhanden.
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Die Liverpooler Titelverteidigung hat sich erledigt.
Hat sie, ja. An ManCity kommt in dieser Saison keiner ran, die sind das Nonplusultra. Für Liverpool kann es nur um die Quali zur Champions League gehen. Wenn sie sich die Tabelle anschauen, werden sie feststellen, dass das schwer genug wird. Chelsea ist mit Thomas Tuchel auf der Überholspur. Da ist was am Wachsen. Tuchel ist ein hervorragender Trainer, hat sehr schnell sehr viel bewirkt, viele richtig gute Kicker und einen großen Konkurrenzkampf. Ein Timo Werner muss an Olivier Giroud und Tammy Abraham erst mal vorbeikommen.
Wie sehen Sie Leipzigs Chancen auf ein Weiterkommen gegen Liverpool?
RB hat eine Riesenchance aufs Viertelfinale, es ist ein guter Zeitpunkt, gegen Liverpool zu spielen.
Gladbach darf/muss gegen City ran. ManCity hat gegen Tottenham den 16. Pflichtspielsieg in Serie gefeiert. Geht trotzdem etwas für Gladbach?
Die Gladbacher haben das schwerste Los von allen deutschen Mannschaften. Wenn sie zwei Top-Tage haben, ist alles möglich. Durch die vielen Spiele und die kurze Pause im Sommer und Winter werden die Unterschiede zwischen den Mannschaften etwas verwässert. Dortmund gegen Sevilla wird ebenso wenig ein Selbstläufer wie Bayern gegen Lazio.
DURCHKLICKEN: Dayot Upamecano bei RB Leipzig
Wie nehmen Sie RB Leipzig in diesen Tagen und Wochen wahr?
Sie spielen überraschend stabil, übertreffen meine Erwartungen, Hut ab. Sie ergänzen sich, machen sich gegenseitig besser, sind füreinander da. In Dortmund sind die einzelnen Puzzleteile auch von hoher Qualität, stimmt aber das Gesamtkunstwerk nicht. Ich kann mir vorstellen, dass sich beim BVB noch mal was an der Trainerfront tut.
Sie haben Emil Forsberg in Ihr Herz geschlossen.
Ja, er ist mein Lieblingsspieler, ist ein überragender Kicker. Wenn er nicht abruft, was er kann, bin fast persönlich beleidigt. Bei RB kommen Individualität und Teamspirit zusammen. Yussuf Poulsen haut sich in jeden Ball rein. Willi Orban nimmt seine Rolle an, spielt nicht immer, aber immer gut. Marcel Sabitzer ist zu einem absoluten Klassespieler gereift. Christopher Nkunku hat eine große Zukunft. Angelino hat sich hervorragend entwickelt, ist an guten Tagen Weltklasse, an weniger guten immer noch top.



Wie beurteilen Sie Alexander Sörloth?
Ich würde ihn noch nicht abschreiben, aber langsam muss da mehr kommen, irgendwann muss der Knoten platzen. Bei Julian Nagelsmann kann es schon mal etwas länger dauern, aber eine ganze Saison zum Eingewöhnen hast du heutzutage nicht.
Nagelsmann greift gerne und oft in den Maschinenraum eines Spiels ein. Erkennen Sie sofort, wenn er mal wieder Hand angelegt hat?
Nicht immer. Es sind oft nur Nuancen, die er verändert. Und die können dann die Statik des Spiels ändern. Nagelsmann hat das Gespür für das Notwendige und Machbare. Er steht nicht umsonst auf der ganzen Welt auf der Wunschliste.
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Das Heimspiel der Roten Bullen findet in Budapest statt. Wie finden Sie das?
Der Umzug ist für RB sicher nicht optimal. Aber ich bin da bei Julian Nagelsmann. Es ist nicht die Zeit, sich zu beschweren. Die Fußballer und auch ich haben das Privileg, unseren Beruf in schwierigen Zeiten ausüben zu dürfen. Und momentan kommt der Heimvorteil eh nicht zum Tragen.
Sie waren 2005 bei der magischen Champions-League-Nacht in Istanbul gegen die Weltauswahl Milan dabei. Was lehrt uns dieses Spiel?
Dass man nie abschalten darf, wenn der FC Liverpool beteiligt ist. Weder auf dem Rasen noch im Wohnzimmer. Ich habe 2002 ein WM-Finale gespielt, aber diese Nacht in Istanbul mit dem FC Liverpool und unseren Fans bleibt das Größte für mich.
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