Der 11. April 2017 ging als einer der schrecklichsten überhaupt in die Fußballgeschichte ein. Sergej W. verübte vor dem Champions-League-Heimspiel von Borussia Dortmund gegen AS Monaco einen Sprengstoff-Anschlag auf den Mannschaftsbus. Wie ein Wunder kam - mit Ausnahme von Marc Bartra, der im Krankenhaus operiert werden musste - niemand im Bus zu Schaden. Zumindest körperlich, die seelischen Folgen bleiben hingegen für immer.
365 Tage danach: So verlief das erste Jahr nach dem Busanschlag für den BVB
Sergej W. hat am 8. Januar 2018 vor dem Dortmunder Landgericht gestanden, die Bomben gebaut und zur Explosion gebracht zu haben, um über fallende Kurse der BVB-Aktie nach seinen Berechnungen rund eine halbe Million Euro zu verdienen. „Ich bedaure mein Verhalten“, sagte er und behauptete: „Ich wollte niemanden verletzen oder schwer verletzen und erst recht niemanden töten.“ Der Täter gilt als schüchterner Mensch, der im Prozessverlauf „immer auf den Boden guckt“, und „selten gegrüßt“ habe, wie ein ehemaliger Nachbar berichtete. Auf die Frage, wofür er das Geld haben wollte, sagte W. im Prozess, das sei „zu persönlich“. Womöglich spielt hier W.s ehemalige Freundin eine Schlüsselrolle, die demnächst im Prozess aussagen wird.
Da sich das Attentat auf den BVB-Mannschaftsbus nun zum ersten Mal jährt, lassen wir die unfassbaren Ereignisse noch einmal Revue passieren - in der Hoffnung, so etwas nie wieder erleben zu müssen.
8. März 2017
Der BVB hat eine Champions-League-Partie gegen Benfica Lissabon, als W. sich erstmals im Dortmunder Mannschaftshotel l’Arrivée einmietet, um die Installation und Zündung seiner Bombe durchzuspielen. Die Abfahrt des Mannschaftsbusses beobachtet er von einem benachbarten Wäldchen aus.
3. April 2017
Um auf fallende Kurse der BVB-Aktie zu wetten, nimmt W. einen Verbraucherkredit bei einer Bank auf.
11. April 2017
0:44 Uhr
W. verlässt die Lobby des Hotels l’Arrivée, verschwindet im nahe gelegenen Wald, baut in einer dichten Buchenschonung die Bomben zusammen und platziert diese an der Busstrecke. In der Morgendämmerung kehrt er ins Zimmer 402 zurück.
19:14 Uhr
Die letzten Dortmunder Spieler steigen in den abfahrbereiten Bus, der sie zu ihrem Champions Leauge-Viertelfinale gegen AS Monaco ins Stadion bringen soll. Normalerweise säumen Fans, oft Kinder, die ersten Meter der Strecke, winken zum Abschied. An diesem Tag nicht – reines Glück.
19:15 Uhr
Sven Bender ist versunken in seine Spielvorbereitung. „Ich habe nach draußen geschaut – direkt in ein grelles Licht. Dann sah ich die Hecke wegfliegen“, berichtet er knapp ein Jahr später im Prozess gegen W. Nach wenigen Metern Fahrt sind drei mit mindestens 65 Metallbolzen bestückte Bomben explodiert, genau neben dem Bus, der schwer beschädigt ist.
19:15 Uhr
Im Bus spielen sich tumultartige Szenen ab. Der Spieler Marc Bartra schreit in Panik, sein Arm blutet heftig, Bender und Nuri Sahin brüllen, der Bus solle weiterfahren, sie fürchten, es könne weitere Explosionen geben. Oder einen Angriff von bewaffneten Terroristen.
19:16 Uhr
Der Bus biegt in die Wittbreucker Straße ab und kommt 50 Meter vor der Hecke zum Stehen. Die Spieler steigen aus, Marc Bartras Arm wird von der Physiotherapeutin der Mannschaft verarztet. Ein Polizist, der den Bus auf einem Motorrad begleiten sollte, hat ein Knalltrauma erlitten.
19:36 Uhr
Die Dortmunder Polizei verkündet auf Twitter, dass es „im Bereich Dortmund-Höchsten eine Explosion gegeben“ habe, vier Minuten später meldet der BVB: „Bei der Abfahrt unseres Busses hat sich ein Vorfall ereignet. Eine Person wurde dabei verletzt.“ Die Vorfreude im bereits halb gefüllten Stadion schlägt um in Angst und Sorge. Sergej W. bestellt im Hotelrestaurant ein Steak.
Etwa 20:00 Uhr
Ein Krisenstab mit Vertretern der UEFA, der Polizei, dem Dortmunder Präsidenten Reinhard Rauball und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke tagt. Um 20:29 Uhr steht fest: Die Partie wird an diesem Abend nicht mehr stattfinden und soll stattdessen am Mittwoch um 18.45 Uhr ausgetragen werden. Die Stadionbesucher werden nach Hause geschickt.
20:43 Uhr
Borussia Dortmund gibt bekannt, dass es sich bei dem verletzten Spieler um Marc Bartra handelt, der in ein Krankenhaus gebracht wurde.
20:58 Uhr
BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke gibt per Facebook-Live-Video erste präzisere Informationen über die Armverletzung Bartras. Außerdem sagt er, dass eine Spielverlegung auf einen ganz anderen Termin nicht realisierbar gewesen sei. Dortmunder Anhänger bieten den Gästen aus Monaco spontan Übernachtungsmöglichkeiten an.
23:30 Uhr
Die Dortmunder Polizei informiert auf einer Pressekonferenz über den Stand der Ermittlungen, es sei ein Bekennerschreiben gefunden worden. Am nächsten Morgen berichten verschiedene Medien, der Brief deute auf einen islamistischen Hintergrund hin. Schnell sickern aber Zweifel an der Echtheit de Schreibens durch.
12. April
10:43 Uhr
Die Mannschaft von Borussia Dortmund trifft sich am Trainingsgelände, um die Ereignisse aufzuarbeiten und sich auf das Nachholspiel am Abend vorzubereiten, die Spieler werden gefragt, ob sie spielen wollen. Keiner meldet sich.
Gegen Mittag
Rudolph S. aus dem österreichischen Bad Ischl ruft bei der Polizei in Dortmund an. Dem glühenden Fan der Borussia, der bei einer Bank arbeitet und privat mit BVB-Aktien dealt, sind W.s Wetten auf fallende Kurse aufgefallen. S. liefert schon wenige Stunden nach den Explosionen das Motiv und damit die entscheidende Spur zum Täter.
18:45 Uhr
Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen findet das Spiel statt, der merklich verunsicherte BVB verliert 2:3 gegen AS Monaco, der Traum vom Champions-League-Halbfinale ist beinahe schon ausgeträumt.
Etwa 21:30 Uhr
Mit deutlichen Worten kritisiert Trainer Thomas Tuchel die Neuansetzung der Partie, das Team sei behandelt worden „als wäre eine Bierdose gegen den Bus geflogen“, und der Spieler Sokratis erklärt: „Ich fühle mich wie ein Tier, nicht wie ein Mensch.“ Bis heute sind viele Dortmunder Spieler entsetzt, dass sie von der UEFA gezwungen wurden, so kurz nach dem Anschlag zu spielen.
21. April
5:16 Uhr
Sergej W. verlässt sein Haus und setzt sich in sein rotes Auto, um zur Arbeit nach Tübingen zu fahren. Drei Zivilfahrzeuge des Bundeskriminalamtes folgen ihm. Als W. an seiner Arbeitsstelle ankommt, erfolgt der Zugriff.