Leipzig. An meinen ersten Arbeitstag als Sportreporter kann ich mich noch gut erinnern: 1. Juli 1990, beim Halleschen Tageblatt in Halle. Vom Sportchef wurde ich mit den Worten empfangen: „Sofort ins Stadion!“ Am Abend zuvor war beim HFC Chemie Trainer Karl Trautmann entlassen worden. Ein Kollege und ich sollten vor Trainingsbeginn Stimmen und Meinungen einsammeln. Wir also hin, nach kurzer Warterei kam die Mannschaft aus der Kabine. Ich kannte kaum einen Spieler, einen schon: Dariusz Wosz, Star des HFC, Riesentalent. Ich zu ihm: „Können wir kurz reden?“ Er zu mir: „Na klar.“
Autorisierungswahn nicht die einzige Veränderung
Und dann erzählte der damals 21 Jahre alte Jungstar dem damals 29 Jahre alten Jungreporter was er vom Trainerwechsel hält, warum das gut so sei und Einiges mehr. Zurück in der Redaktion wurde alles aufgeschrieben und am nächsten Tag stand es in der Zeitung. Damals nichts Besonderes. In jeder der seinerzeit in Halle erscheinenden fünf Tageszeitungen war zu lesen, was diverse HFC-Spieler zum alten und neuen Trainer so sagten.



Das muss man sich heute mal vorstellen. Einfach so mit einem Fußball-Profi vor oder nach dem Training schwatzen und das Gesagte aufschreiben. Fertig. Autorisierung? Damals ein Fremdwort. Heute geht von der ersten, zweiten, dritten und mitunter auch vierten Fußball-Liga jedes Gespräch durch die, ja, man kann schon Zensur sagen. Nicht nur im Fußball. Autorisierung heißt das Zauberwort. Nicht selten werden Sätze und Aussagen bei den Antworten geändert oder gestrichen. Das ist in ganz Deutschland üblich (geworden). Wann hat das angefangen? Um die Jahrtausendwende? Mit dem Aufkommen der Online-Medien? Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass Autorisierungen vor fatalen Fehlern (auf beiden Seiten) bewahren können. Was auch schon geschehen ist. Nur das vor 25, 30 Jahren die fatalen Fehler nicht sofort um die Welt gegangen sind.
Der Autorisierungswahn war nicht die einzige Veränderung in den 31 Jahren im Sportjournalismus. Der technische Wandel war noch viel gravierender. 1991, mit dem HFC im Trainingslager auf Mallorca, habe ich in einem Hochhaus bei wildfremden Leuten geklingelt und gefragt, ob ich nach Deutschland telefonieren kann, um meinen Bericht von einem Testspiel durchzugeben.
Zeuge eines Mordes
Bis zum Hotel zurück hätte ich es wegen des zeitigen Redaktionsschlusses nicht geschafft. Ich durfte telefonieren. Am anderen Ende der Leitung nahm eine Sekretärin den Bericht auf. Handys? Fremdwort. Laptop? Gab’s noch nicht. WLAN? Ist das ein Medikament? Heute werden Texte ins Smartphone getippt, auf Laptops kann man in Echtzeit auf den Zeitungsseiten oder live im Online-Portal arbeiten. An jedem Ort der Welt. Innerhalb nur einer Generation eine unglaublich rasante Entwicklung, deren Ende nicht in Sicht ist.
Eine solche Entwicklung live miterlebt zu haben, ist eine großartige Erfahrung. Überhaupt ist Sportjournalist ein toller Job. Wenn auch hier, wie im richtigen Leben, nicht immer alles toll war (und ist). Auf das Erlebnis als Zeuge eines Mordes hätte ich gerne verzichtet. Am 13. Dezember 1997 erstach bei der Frauenhandball-WM in Berlin ein betrunkener Berliner zwei dänische Fans. Geschehen ein paar Reihen vor mir.
Im Laufe der Jahre wurde auch mehr und mehr deutlich, dass im Sport massiv betrogen wird. Mitunter war das persönlich enttäuschend. Ich habe bei der Friedensfahrt der Radprofis, dürfte 1997 gewesen sein, den Tour-de-France-Sieger Bjarne Riis kennengelernt. Wir unterhielten uns nett, ein sympathischer Kerl. Später stellte sich heraus, dass er, wie viele seiner Radkollegen, massiv und über Jahre gedopt hat. Riis war ein Betrüger. Können Betrüger sympathisch sein? Seit 2002 der Skilangläufer Johann Mühlegg als Doper aufgeflogen ist, hat mich diesbezüglich nichts mehr überrascht.
Kein Tag verlief wie der andere
Doch die positiven Seiten überwiegen bei weitem. Sechs Olympische Spiele, etliche Welt- und Europameisterschaften, Fußball-, Eishockey- und Handballspiele, Reitturniere, Events im Wintersport oder in vermeintlichen Randsportarten wie Fechten, Bogenschießen oder Moderner Fünfkampf - das sorgte für unvergessliche Erlebnisse. Die Highlights? Sven Hannawalds Grand Slam bei der Vierschanzentournee vielleicht, das olympische Eishockey-Finale 2010 Kanada gegen USA in Vancouver, der Triumph der Springreiters Otto Becker beim Weltcup-Finale in Leipzig 2002 oder die vielen dramatischen Biathlon-Rennen. Dann dieses Fußballspiel noch oder jenes Handballspiel… In Erinnerung bleiben auch viele Begegnungen am Rande der Sportereignisse. Unvergesslich ist die mit dem südafrikanischen Bischof Desmond Tutu bei Olympia in Salt Lake City 2002, die charismatischste Persönlichkeit, die ich erlebt habe. Habe 2003 Muhammad Ali bei seinem Besuch in Leipzig erlebt, 2001 mit Wayne Gretzky gesprochen. Die Erlebnisse füllen Bücher.

Das „Kerngeschäft“ war natürlich der Sport vor Ort. 1996 bin ich nach Leipzig gezogen. Die vergangenen 25 Jahre - im lokalen Sport eine einzige Achterbahnfahrt mit extremen Höhen und Tiefen. Die unvollständige Liste: Der Niedergang des VfB und des FC Sachsen Leipzig, das Comeback von Lok und Chemie, natürlich der sagenhafte Aufstieg von RB. Ein großes Tennisturnier verschwand sang- und klanglos, dafür schrieb die „Partner Pferd“ (bald beginnt Nummer 25) eine Erfolgsgeschichte. Von Glanz und Elend des HC Leipzig war zu berichten, aber auch vom Siegeszug der DHfK-Männer. 1996 wurde in Leipzig noch nicht Eishockey gespielt - mittlerweile sind die IceFighters fester Bestandteil des Leipziger Sportlebens und haben – ich habe es lange nicht für möglich gehalten – nun sogar eine feste Spielstätte.
Das alles live miterlebt und zum Teil begleitet zu haben, hat den Job so spannend gemacht. Langweilig war’s nie, kein Tag verlief wie der andere. Ich werde alles weiter interessiert verfolgen - nun aber nicht mehr in der ersten Reihe. Und ohne Notizblock.
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