Es ist passiert: Gabriel Clemens (39) hat dem deutschen Darts eine Riesensensation beschert. Im WM-Viertelfinale den Weltranglistenersten Gerwyn Price (37) besiegt, noch dazu mit 5:1 deutlich, und das, wo er doch allein mit dem Einzug in die Runde der letzten acht schon Geschichte geschrieben hatte – das ist grandios. Der Saarländer spielt nun im Halbfinale gegen Michael Smith (32). Der Engländer ist die Nummer vier der Welt. Um den Vorjahresfinalisten auf dem Weg in dessen drittes Endspiel und zum möglichen ersten WM-Titel zu stoppen, braucht "Gaga" eine Leistung wie im Viertelfinale gegen den "Iceman". Das kann der Deutsche – doch allein das muss noch nicht reichen.
Die Qualität hat er fraglos, wie bei Turnieren auf der Pro Tour schon mehrfach gezeigt. Smith aber ist letztlich der entscheidende Faktor, wie es schon bei Price der Fall war. Spielt der "Bully Boy" sein bestes Darts, wird Clemens kaum eine Chance haben. Für seinen Einzug ins Halbfinale gegen Stephen Bunting reichten Smith durchwachsene 91 Punkte pro Aufnahme. Dieser Average wäre nicht gut genug, auf dem Niveau könnte sein deutscher Gegner mithalten, wenn er auf die Doppel stabil ist und nicht seine Lässigkeit verliert. Diese Gefahr sehe ich aber auch nicht.
Was mir bei Clemens besonders auffiel: Er fühlt sich auf der Bühne nun erstmals richtig wohl. Im Interview nach dem Sensationssieg betonte der Saarwellinger, gemeinsam mit dem Team einiges umgestellt zu haben, ohne dabei ins Detail zu gehen. Fakt ist: Sein Fokus und seine Konzentration passen. Gerade nach dem verlorenen ersten Satz, den Price dominierte, blieb der "German Giant" cool. Auch als Price mit Kopfhörern auf die Bühne kam, was als eine kleine Provokation in seine Richtung wirkte, ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen. Prüfung bestanden!
Selbst wenn es nicht zum Finaleinzug reichen sollte, könnte Clemens Medienberichten zufolge für die Premier League nominiert werden. Die Einladungsliga, an der die Top vier der Welt und vier Spieler per Wildcard teilnehmen, zählt nicht für die Geld-Rangliste ("Order of Merit"), garantiert aber 16 Spieltage gegen die Top-Stars und damit verbunden wichtige Einnahmen, zudem eine wichtige Erfahrung.
Smith: Clemens hat "Chance, ein Superstar zu werden"
Ob es so kommt, stellt sich ohnehin erst nach dem Finale heraus, wenn die PDC die acht Teilnehmer bekanntgibt. Aus meiner Sicht wäre das als WM-Halbfinalist auch ein Tick zu viel für "Gaga" – aber natürlich erkennt man das Potenzial des deutschen Marktes, wenn allein 800 der rund 3000 Fans im "Ally Pally" aus Deutschland kommen. Smith sagt, Clemens habe die "Chance, ein Superstar zu werden". Und Halbfinalist Michael van Gerwen lobt dessen Auftritt als "gewaltig" – mit der Folge, dass Darts hierzulande einen weiteren großen Schub bekommen habe.
Eine Frage, die sich nun abgesehen davon noch stellt: Hat Clemens womöglich sogar Price von der Darts-Bühne geworfen? Nach der Pleite sorgt die aktuelle Nummer eins mit gelöschten Posts in den Social Media für Rätselraten. Was wäre, wenn der ehemalige Rugbyspieler die Pfeile tatsächlich an den Nagel hängt? Er selbst bezeichnete sich als "Grinch des Darts", der ohne großem Interesse am Sport und seiner Geschichte auftauchte, um "euch das Preisgeld wegzunehmen", wie Price einst sagte.
Mittlerweile hat er sich ein Vermögen aufgebaut, einige Häuser gekauft. Und wenn einer sich vom Publikum ungeliebt fühlt und sich im Viertelfinale gleichgültig mit Kopfhörern auf die Bühne stellt, dann ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass ausgerechnet dieses Duell mit Clemens - den im "Ally Pally" alle feierten - für den endgültigen Bruch gesorgt hat.