Das Viertelfinale bei der Weltmeisterschaft in Katar steht in den Startlöchern, 56 von 64 Partien sind bereits abgepfiffen. Dabei gingen die Spiele zum größten Teil fair über die Bühne. Bisher zeigten die Schiedsrichter zusammengerechnet 180 Gelbe Karten (Quelle: transfermarkt.de). Das macht einen Schnitt von 3,2 Verwarnungen pro Spiel. Hinzu kommen eine Gelb-Rote (Kameruns Vincent Aboubakar für seinen Torjubel gegen Brasilien) und eine Rote Karte (Wales-Keeper Hennessey nach Notbremse gegen den Iran). Zum Vergleich: Bei der WM 2018 in Russland lag der Schnitt noch bei 3,42 Gelben Karten pro Partie bei vier Platzverweisen.
"Für mich gibt es drei Gründe, die zu dieser Statistik führen", sagt der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati im Gespräch mit dem SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Zum einen sei FIFA-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina kein Freund von Karten. Der inzwischen 62-Jährige zückte selbst in seinen Einsätzen eher selten Karten und löste mehr über "die Persönlichkeit, Mimik und Gestik", wie es Rafati beschreibt: "Die WM-Schiedsrichter kommen mehr über die Kommunikation und pfeifen überhaupt nicht kleinlich. Collina selbst stellt diese Punkte immer in den Fokus."
Als zweiten Punkt nennt Rafati die Altersstruktur der Unparteiischen bei diesem Turnier. "Zwei Drittel der bisher eingesetzten Schiedsrichter sind 40 Jahre alt oder älter. Sie gehen ein Spiel viel lockerer an, da es auch ihre letzte WM sein könnte. Sie treten eher als Spielmanager und weniger als Schiedsrichter auf. Es wird eine großzügige Linie gefahren, aufgrund der Erfahrung ist die Leine eher lang. Es gab schon einige Situationen, bei denen es zu einhundert Prozent in der Bundesliga Gelb gegeben hätte", sagt der ehemalige Referee.
Den dritten Grund sieht Rafati nicht bei den Schiedsrichtern - sondern bei den Teams. "Bei FIFA- oder UEFA-Turnieren treten die Mannschaften ganz anders auf als beispielsweise in der Bundesliga oder Champions League. Bei einer WM oder EM ist der Respekt gegenüber den Unparteiischen viel größer - aufgrund der schärferen Sanktionen", meint der 52 Jahre alte Hannoveraner.
England mit beeindruckender Karten-Bilanz
Was bei dieser WM auch auffällt: Alle acht Viertelfinalisten (England, Frankreich, Argentinien, Brasilien, Niederlande, Kroatien, Marokko und Portugal) stehen in der Fair-Play-Tabelle ordentlich da. Die Wertung, die in der Gruppenphase sogar über Weiterkommen oder Ausscheiden entscheiden kann, führen die "Three Lions" mit einer beeindruckenden Bilanz an: Kein englischer Spieler kassierte im bisherigen Turnierverlauf eine persönliche Strafe - kein Gelb, kein Gelb-Rot und auch kein Rot. Und das trotz der teils hitzigen und prestigeträchtigen Spiele gegen die USA (0:0) und Wales (3:0) in der Vorrunde. Am schlechtesten im Vergleich aller WM-Teilnehmer schneidet das in der Gruppenphase ausgeschiedene Saudi-Arabien mit 14 Gelben Karten ab.
Fair Play als Mittel zum WM-Erfolg? Oder gar ein Indiz unterforderter Abwehr-Reihen? Deutschland war bei seinem jüngsten WM-Titel 2014 zumindest eines der fairsten Teams, kassierte im Turnierverlauf nur sechs gelbe Karten und somit weniger als eine pro Spiel (0,86). Auch Spanien war 2010 mit seiner fairen Spielweise aufgefallen, hatte nach Nordkorea den zweitbesten Schnitt (1,14 gelbe Karten pro Spiel). Gegen die Statistik spricht, dass sich im WM-Finale 2018 zwischen Frankreich (12 gelbe Karten) und Kroatien (15 gelbe Karten) zwei der kartenfreudigsten Teams des Turniers gegenüberstanden. Wie wird es in diesem Jahr laufen? Rafati ist zumindest davon überzeugt, dass es beim Kartendurchschnitt keine großen Veränderungen mehr geben wird. "Es kommen jetzt nur noch die besten und erfahrensten Schiedsrichter zum Einsatz. Am Ende bleibt es, was die Karten-Statistik angeht, eine sehr ruhige WM."
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