Die komplette Ersatzbank sprang auf, die Trainingsleibchen flogen durch die Luft – und Jürgen Klopp ballte die doppelte Siegesfaust. Es war der Moment, als der eingewechselte Divock Origi den Ball zwei Minuten vor dem Abpfiff im langen Eck versenkte und den Liverpooler Fanblock komplett in Ekstase versetzte. Das 2:0 war die Entscheidung in Finale der Champions League gegen Tottenham Hotspur, der Bann war gebrochen, der Endspiel-Fluch besiegt. Klopp hat es tatsächlich geschafft und sich als zweiter deutscher Trainer den Henkelpott mit einem ausländischen Klub nach Jupp Heynckes mit Real Madrid gesichert.
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Liverpool tut nach Führung nicht mehr als nötig
Was wurde im Vorfeld dieses Finals nicht alles analysiert, spekuliert, gefachsimpelt: Fressen Klopps Männer den Gegner wie so häufig in den ersten 20, 30 Minuten auf? Ändert Pochettino vielleicht doch überraschend seine Taktik und geht früh drauf wie RB Leipzig im Pokalfinale gegen den FC Bayern? Spielt Harry Kane? Patzt Alisson Becker? Und so weiter und so weiter. Und dann schießt Sadio Mané nach 24 Sekunden den Ball halb an die Brust, halb an den Arm von Moussa Sissoko und nach nicht mal zwei Minuten steht es 1:0 für den FC Liverpool, weil Mohamed Salah den fälligen Elfmeter eiskalt versenkt. Alles Makulatur, alles anders, alles neu.


Wie so oft veränderte dieser unerwartet frühe Treffer die komplette Statik. Liverpool tat nicht mehr als nötig, Tottenham versuchte auf den Ausgleich zu drücken, war aber viel zu geschockt. Die Spurs agierten ultranervös, hatten viele Ballverluste und unnötige Stockfehler. Optisch gehörte die Partie zwar den Londonern, doch so richtig gefährlich wurde es nie. Auch, weil der überragende Virgil van Dijk alles abräumte, was sich dem Liverpooler Strafraum auch nur näherte. Auf der Gegenseite versuchten es die Reds hin und wieder mit Fernschüssen wie Trent Alexander-Arnold (17.) oder Andy Robertson (38.) – das war´s denn aber auch.
Liverpool in Noten: Die Einzelkritik zum Finale gegen Tottenham
Über 100.000 englische Fans feiern überwiegend friedliche Party
Die Partie plätscherte relativ unaufgeregt dahin – und auch auf den Rängen herrschte nicht die erwartet explosive Stimmung. Emotional wurde es vor dem Anstoß wurde, als in einer Schweigeminute an den verstorbenen Ex-Valencia-Profi José Antonio Reyes gedacht wurde und die Liverpool-Fans ihr „You´ll never walk alone“ hinterher schmetterten.
Tagsüber hatten knapp 100.000 Anhänger beider Lager meist friedlich eine riesige Fußballparty gefeiert – am Abend schien ihnen irgendwie die Luft auszugehen. Da beide Klubs nur 16000 Tickets erhielten, waren viele ohne Eintrittskarte in der Stadt und boten unglaubliche Ticketpreise. Auf dem Schwarzmarkt wurden bis zu 10 000 Euro gezahlt – jeder wollte rein. Und einige Verrückte griffen dafür sogar in die Trickkiste. Rund 200 Fans verschafften sich ohne Karten Zugang zum Stadion und gelangten in den Medienbereich. Andere hatten sich Ordnerwesten besorgt, doch auch sie flogen auf – und noch vor am Anpfiff raus.
Tottenham Hotspur in Noten: Die Einzelkritik zum Finale gegen Liverpool
Flitzerin sorgt für großen Aufreger vor der Pause
Für den größten Aufreger vor der Pause sorgte dann eine Flitzerin, die im knappen Badeanzug Werbung für eine Pornowebsite machte. Klopp und Pochettino konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die beiden Trainer wirkten so unterschiedlich, wie es nur geht: Der Deutsche sah aus als ob er mal eben um die Ecke zum Bäcker wollte. Grauer Schlabber-Jogginganzug, rote Turnschuhe, Baseballmütze tief ins Gesicht gezogen. Ein paar Meter weiter stand der Argentinier wie ein Dressman im feinsten schwarzen Zwirn, mit Hemd und Krawatte.
Pochettinos Plan, mit dem angeschlagenen Harry Kane in der Startelf für einen Überraschungsmoment zu sorgen, ging nicht auf. Der Kapitän der „Three Lions“ blieb blass. Wenn Tottenham überhaupt mal gefährlich wurde, ging es meist über Heung-Min Son. Doch erst in der 80. Minute musste Liverpools Torhüter Alisson Becker überhaupt eingreifen. Zunächst entschärfte er Sons Schuss, dann den zweiten Versuch von Lucas Moura – und wenige Minuten später auch noch den Freistoß von Christian Eriksen. Nach dem Treffer von Origi konnte die Party in rot dann endgültig beginnen.