Es war kein einfaches Wochenende für Hansi Flick. Zwar konnte der Bundestrainer die Tage wieder im Kreis seiner Liebsten verbringen, viel lieber wäre er aber noch in Katar geblieben. Doch statt Doha hieß es Bammental. Statt Deutschland spielt Japan im Achtelfinale. Statt Hansi Flick steht Hajime Moriyasu an der Seitenlinie. Und statt sich mit der Aufstellung zu beschäftigen, musste sich der DFB-Coach i. d. H. (in der Heimat) anhören, wer sich im Minutentakt alles zu seinen Fehlern und zu seiner Zukunft äußerte.
Fans, Medien, Ex-Spieler und Experten aus dem In- und Ausland. Am härtesten von allen formulierte Dietmar Hamann seine Meinung zu Flick: "Ich halte es für ausgeschlossen, dass wir mit diesem Trainer weitermachen können nach dem Debakel. Es war jämmerlich, wie wir uns verkauft haben." Rumms! Der Ex-Nationalspieler war nicht der Einzige, der den Bundestrainer anzählte – doch es gab und gibt auch viele Fürsprecher.
Am Ende muss die DFB-Spitze um Bernd Neuendorf und Hans-Joachim Watzke seriös abwägen, ob sie das Unternehmen Heim-EM, die Euro 2024, mit Flick oder mit einem anderen Trainer angehen wollen. Nach SPORTBUZZER-Informationen soll es am Mittwoch am Frankfurter DFB-Campus zu einem ersten Treffen kommen – das Ergebnis: völlig offen. Natürlich wird Flick vorbereitet sein. Und natürlich wird er in seiner Aufarbeitung des Turniers Dinge auflisten wie die "Expected Goals", die Wahrscheinlichkeit eines Treffers basierend auf der Spielsituation – dieser Statistik nach hätte Deutschland mehr Tore als jedes andere Team erzielen müssen, nämlich zehn. Am Ende waren es aber nur sechs. Keine Mannschaft gab mehr Torschüsse ab (69), keine traf häufiger Pfosten oder Latte (5). War das Vorrunden-Aus am Ende also nur eine Mischung aus Ineffizienz und Pech? Mitnichten.
Denn was teilweise aus der Kabine heraus zu hören ist, sollte den Entscheidern deutlich mehr Sorgen bereiten. Der "Hansi" sei zwar ein netter Typ, ein solider Coach, heißt es hinter vorgehaltener Hand. In Sachen Taktik und Training soll er allerdings nicht auf Weltklasse-Niveau unterwegs sein. In Katar wurde Deutschland auch Opfer von Flicks Kuschelkurs, mit dem er möglichst viele Spieler zufriedenstellen wollte.
Zu sehen bei der Einwechslung von Leon Goretzka gegen Japan, bei der Versetzung von Joshua Kimmich in die Viererkette gegen Costa Rica – oder beim fehlenden Mut, im entscheidenden Spiel auf den formstarken Niclas Füllkrug statt auf den formschwachen Thomas Müller zu setzen. Das Ergebnis ist bekannt und wird in die Analyse und Bewertung mit einfließen. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass Flick bleibt. Auch, weil die beiden bestmöglichen Alternativen schwer zu bekommen sein dürften.
Klopp als geeigneter Flick-Nachfolger?
Jürgen Klopp wäre der Mann, der die Katerstimmung in Deutschland mit seiner bloßen Anwesenheit auf einen Schlag umdrehen, eine echte Euphorie entfachen könnte – genau das, was man mit Blick auf die EM braucht. Allerdings hat er seinen Vertrag in Liverpool gerade erst bis 2026 verlängert, sein Berater Marc Kosicke ließ verlauten, dass sein Klient "vorhabe", diesen auch zu erfüllen. Was soll er auch sonst sagen? Fakt ist aber auch: Natürlich hat auch Klopp Bock auf das Turnier im eigenen Land. Einen vorzeitigen Abgang, um seine Nation zu retten, würden ihm wohl sogar die Fans der "Reds" nicht übel nehmen. Zu Watzke pflegt "Kloppo" ein freundschaftliches Verhältnis, der DFB-Vize könnte zum Trumpf-Ass werden, sollte man einen Flick-Nachfolger brauchen.
Mit dem anderen, logischen Kandidaten hat Watzke dagegen eine belastende Vorgeschichte. Thomas Tuchel und der BVB-Boss überwarfen sich einst heftigst bei Borussia Dortmund. Inzwischen soll sich das Verhältnis aber normalisiert haben. Tuchel, der es liebt, jeden Tag auf dem Trainingsplatz zu stehen, würde nach Paris Saint-Germain und Chelsea zwar gerne erneut einen europäischen Top-Klub übernehmen, aber auch ihn reizt die Verlockung, eine qualitativ gut besetzte Mannschaft bei einem Turnier im eigenen Land aus der Versenkung zum Triumph zu führen. Sein Ruf als "Bessermacher" à la Guardiola hat sich auch bis ins DFB-Team rumgesprochen.
Ob Klopp oder Tuchel aber überhaupt zum ernsthaften Thema werden, hängt noch von Flick ab. Mitte der Woche muss er den Bossen zeigen, dass er seine Fehler erkannt und einen Plan für die Euro hat. Dann wird er eine zweite Chance bekommen.
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