Wenn ihm langweilig war, warf er Dartspfeile auf Jugendspieler oder er zündete Feuerwerkskörper im Badezimmer. Vor einem wichtigen Spiel lud er sich mal vier Prostituierte aufs Hotelzimmer. Sein Maserati wurde bis Sommer 2012 stolze 27-mal abgeschleppt. Und wenn es ihm an der Tankstelle zu lange dauerte, bezahlte er einfach alle Rechnungen der vor ihm wartenden Kunden mit. Mario Balotelli – einer der letzten Vertreter der Bad Boys im Weltfußball, Prototyp des verzogenen Jungmillionärs, hätte wohl nie für Deutschland spielen dürfen. Selbst wenn es sein Pass erlaubt hätte.



Für einen wie ihn war in der Kuschelwelt des Deutschen Fußball-Bundes, die nach der EM 2012 plötzlich angeprangert wurde, kein Platz. Und doch hätten sie etwas darum gegeben, wenn er am 28. Juni in Warschau statt des azurblauen Trikots der Italiener das weiße mit dem Adler getragen hätte. "Dieser Tor-Protz schickt uns nach Hause", titelte die Bild über dem Foto des Squadra-Azzura-Stürmers ghanaischer Abstammung, der der Welt nach seinem zweiten Tor seine Muskeln zeigte. Der deutsche Titeltraum zerschellte an einem Muskelberg und an Angstgegner Italien, wie schon bei den Weltmeisterschaften 1970, 1982 und 2006. "Ob Mexiko, Madrid, Dortmund oder jetzt Warschau – am Ende gewinnt immer Italien", frohlockte der Corriere dello Sport.
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Holger Badstuber, damals Balotellis Gegenspieler, sagte dem SPORTBUZZER: "Obwohl die Italiener eine ganz andere Mannschaft hatten und bei uns nur noch Philipp Lahm, Basti Schweinsteiger, Miro Klose und Lukas Podolski dabei waren, gab es natürlich diese Vorgeschichte. Die unschönen Erinnerungen an die WM 2006 hatten wir alle im Hinterkopf. Damit sind wir ins Spiel gegangen."
DFB hielt an Bundestrainer Löw fest
Doch das Land wollte sich nicht damit abfinden, dass es sich um ein Naturgesetz handelt, gegen Italien zu verlieren. Bundestrainer Joachim Löw stand plötzlich am Pranger. "Kann man noch an Jogi glauben?" fragte die Bild am Sonntag ihre Leser. 59 Prozent sagten Ja, der DFB auch. Präsident Wolfgang Niersbach gelobte noch in der Nacht der Niederlage, die eine Rekordserie von 15 Siegen in Pflichtspielen beendete, Treue: "Jogi, du hast einen Klasse-Job gemacht. Wir sind unheimlich froh, dich als Bundestrainer zu haben."
Joachim Löw: Seine Bundestrainer-Ära in Bildern
Es gab andere Meinungen – und den Konsens, Löw habe sich im Halbfinale "verzockt" mit seinen drei Änderungen gegenüber dem Viertelfinale gegen die Griechen (4:2). Auch Badstuber, heute beim VfB Stuttgart, deutet das an: "Wir sind mit einer veränderten Aufstellung ins Spiel gegangen, damit hatte eigentlich keiner gerechnet. Der Spielverlauf war dann auch eigenartig, wir fanden keinen richtigen Zugriff. Wir haben uns den Schneid abkaufen lassen." Löw hatte diesen, so die Kritiker, schon vor dem Spiel verloren, als er erstmals Toni Kroos in die Startelf nahm, damit dieser Italiens Spielmacher Andrea Pirlo neutralisiere. Es wurde als Zeichen von Schwäche gedeutet, sich nach dem Gegner zu richten.
Spanien zerlegt Italien im Finale
Ebenso wie es fatal für manchen war, dass die Spieler mit Migrationshintergrund, die das Team bei der WM 2010 auf ein neues Niveau gehoben hatten, die Hymne nicht mitsangen. "Schon bei der Hymne hatten wir verloren", fand Bild. Doch was hätte ein Sieg gebracht? Im Finale wären die Deutschen wie 2008 auf die Spanier getroffen, die nun Weltmeister waren und auch wie einer auftraten. Sie zerlegten Italien mit 4:0. Mit Fernando Torres stellten sie den Torschützenkönig, dafür reichten drei Treffer. Die erzielte auch der Deutsche Mario Gomez, die geringere Anzahl von Spielminuten gab den Ausschlag für Torres.
Die Spanier gewannen in diesen Jahren einfach alles. Bei der letzten Endrunde mit 16 Mannschaften, die in der Ukraine und Polen ausgetragen wurde, gelang "La Roja" als erster Auswahl eine Titelverteidigung.