In akkuratem Abstand zueinander hängen die schneeweißen Trikots an den Kleiderhaken der Umkleidekabine. Vor den Sportjerseys – beflockt mit dunkelblauen Zahlen und dem darübergelegenen, gleichfarbigen Aufdruck „VT Rinteln“ – blicken an diesem Samstagnachmittag 13 junge Männer auf die Taktiktafel in den Händen von Thomas Aldag. Mit schnellen Handgriffen verschiebt der braunhaarige Mann mit Dreitagebart die bunten Magnetsteine auf dem Board. Anschließend richtet sich der Coach im blau-weiß-gestreiften Trainingsanzug mit fester Stimme und wortuntermalender Gestik an seine Spieler auf den Bänken vor ihm.
„Gebt alles Jungs, heute wollen wir gewinnen.“ Der Satz geht zwischen aufbrandendem Applaus und motivierenden „Let’s go“-Rufen der Athleten unter, die sich nach der Ansprache die Trikots überstreifen und mit konzentriertem Gesichtsausdruck nacheinander zur Kabinentür hinaustreten. Auf den ersten Blick mag die beschriebenen Szene zwar gewöhnlich wirken im Wesen des Mannschaftssports, aber es sind Situationen, die den besonderen Charakter dieses Teams ausnahmslos widerspiegeln. Die Futsaler der VT Rinteln schreiben ihre eigene, bemerkenswert außergewöhnliche Story.
Nicht nur, dass sie in einem Wettbewerb, der für viele abseits des großen Bruders Fußball mehr Randsportart ist, beachtliche Erfolge in der Liga des Niedersächsischen-Fußball-Verbandes (NFV) feiern und dabei zumeist unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung fliegen. Vor allem zeichnet die Futsaler aus der Weserstadt auch ein unbändiger Teamgeist aus, eine verbindende Liebe zum Ballsport, ein übergeordneter Mannschaftsgedanke im Sinne der gemeinsamen sportlichen Ziele. Und das – eigentlich eine Selbstverständlichkeit – vollkommen unabhängig von der Tatsache, dass die Mehrzahl der Kicker aus unterschiedlichen Herkunftsländern stammt und erst seit Kurzem in Deutschland lebt. Eine Multikulti-Truppe mit Vorzeige-Charakter.

„Am Anfang“, erklärt Trainer Aldag wenige Tage zuvor am Rande des Trainingsbetriebs, „musste es erst zusammenwachsen. Aber das ist gut geworden.“ Aldag, Obmann und Mitbegründer des schon 2011 ins Leben gerufenen VTR-Futsals, weiß um die Integrationskraft im Mannschaftssport. Zu Beginn habe er zwar darauf achten müssen, Grüppchenbildungen zu vermeiden, aber: „Das gemeinsame Spiel fördert ungemein. Viele zusammen erreichte Erfolge stärken eine solche Mannschaft natürlich.“
Seit 2015 spielt der Kern des aktuell 17 Spieler umfassenden Teams zusammen. Damals seien einige Flüchtlinge und Zuwanderer in und um Rinteln auf den Futsal aufmerksam geworden. Die leidenschaftlichen Kicker hätten dann wiederum Freunde mitgebracht. „Zum Glück“, sagt Aldag heute rückblickend. Denn: „Der Spielerzulauf beim Futsal ist überschaubar. Jetzt aber haben wir ein gutes Team zusammen.“ Auf der anderen Seite sei es „ebenso wichtig gewesen, dass sich die Migranten – gerade am Anfang – sinnvoll beschäftigen konnten“.
„Wir sind eine Rintelner Mannschaft. Es ist egal, ob Ausländer spielen oder Deutsche. Wir spielen für Rinteln.“
Einer, der in dem technisch wie taktisch geprägten Hochgeschwindigkeitsspiel ein sportliches Zuhause gefunden hat, ist Mosaab Khalil. Der Kapitän und Torhüter der Blau-Weißen floh mit seinen Brüdern vor Krieg und Terror aus dem Heimatland Syrien. Dank des Sports habe er in der neuen kulturellen Umgebung jedoch schnell Fuß fassen können. „Als ich nach Deutschland kam, konnte ich die Sprache nicht“, erzählt Khalil heute in fehlerfreiem Deutsch. Doch der Futsal habe ihm „bei der Sprache und der Integration, also wie man in Deutschland lebt, geholfen“.
Sport als integrierende Gesellschaftsbrücke – ein elementarer Baustein der Interkulturalität. Das Zusammenspiel mit Menschen aus verschiedenen Ländern spiele beim Futsal „überhaupt keine Rolle“, betont Khalil. „Wir sind eine Rintelner Mannschaft. Es ist egal, ob Ausländer spielen oder Deutsche. Wir spielen für Rinteln.“
Matchday, kurz vor 13 Uhr, Kreissporthalle Rinteln: Die VTR-Futsaler betreten nach der Mannschaftsbesprechung das Spielfeld. Ein Torwart, vier Feldspieler. Die weiteren Akteure nehmen auf der Bank neben Trainer Aldag Platz. Keiner von ihnen wirkt enttäuscht ob der Ergänzungsrolle. Alle wissen: Sie werden zum Einsatz kommen. Denn anders als beim Fußball wird im Futsal über eine markierte Auswechselzone fliegend gewechselt. Im Duell mit dem Tabellendritten BSC Acosta Braunschweig braucht der in der Liga führende Klub aus der Weserstadt jede verfügbare Manpower.
Anpfiff. Zweimal 20 Minuten Spielzeit, keine Bande und ein spezieller, sprungverminderter Ball. Tempo, Technik und Taktik sind gefragt; ebenso Kondition, Körpereinsatz, Kreativität. Die Futsaler der VT Rinteln beherrschen all diese Tugenden. Mit präzisen Pässen und kluger Raumaufteilung bestimmen sie den Rhythmus des Geschehens. Die unterschiedlichen Spielertypen in den Reihen der Blau-Weißen sorgen für nützliche Variabilität im Positionsspiel: Der hünenhafte Fixo (Abwehr) gewinnt wichtige Zweikämpfe, der dribbelstarke Ala (Außen) tanzt sich durch die gegnerische Defensive, der abschlussstarke Pivot (Sturm) vollstreckt – auch gegen die Braunschweiger.
„Futsal“, sagt Ahmed Mohamed kurz vor dem Spieltag, „ist interessanter als Fußball. Es macht mehr Spaß, auch wegen der schnelleren Wechselmöglichkeiten“. Der VTR-Kicker mit der Rückennummer 14 hat – genau wie Kapitän Khalil – mithilfe des Mannschaftssports nach seiner Ankunft schneller Anker werfen können in Deutschland. Insbesondere der Teamzusammenhalt sei für ihn eine wichtige Säule, sagt Mohamed: „Wir arbeiten als Mannschaft zusammen und kämpfen gemeinsam, um Meister zu werden“.
Der Staffelsieg und die damit verbundene Aufstiegschance, das ist der große Traum, der die 17 Ballvirtuosen antreibt. Als einziges Schaumburger Team messen sich die VTR-Futsaler regelmäßig fast ausschließlich mit Vereinen aus Großstädten. Eine Provinz erobert die Futsal-Landkarte. Der mögliche Sprung in die Regionalliga – der aktuell höchsten deutschen Spielklasse, die 2021 von der Futsal-Bundesliga abgelöst wird – wäre ein Meilenstein, eine Sensation. Die perspektivische Route dorthin hält für die Rintelner gleich mehrere Hürden parat: Staffelmeisterschaft, Niedersachsen-Endrunde, Relegation gegen den Regionalliga-Absteiger.
Unsere Stärke ist das Team
Doch das gemeinsame Ziel vor Augen fördert und fordert, dass alle an einem Strang ziehen. Diese Entwicklung hat auch Trainer Aldag beobachtet: „Wir werden von Jahr zu Jahr besser, die Mannschaft wächst zusammen, wir haben Spaß. Das zeichnet uns aus“. Und Torwart Khalil ergänzt: „Unsere Stärke ist das Team“.
Auszeit. Mitte der zweiten Hälfte. Die Rintelner Kreissporthalle erlebt eine gut aufgelegte VTR-Mannschaft, die mit flüssigem Kombinationsspiel gegen den BSC Acosta Braunschweig zu überzeugen weiß. Einzig bei der Chancenverwertung klemmt es etwas. Aldag versammelt die eingesetzten Feld- und in grüne Leibchen gehüllten Ergänzungsspieler um sich. 60 Sekunden für die wichtigsten taktischen Anweisungen. Aufmerksam hören die Futsaler ihrem Coach zu, der nach einer halben Minute in den Dialog wechselt, Vorschläge seiner Schützlinge bewusst mit einbindet in die Fast-Time-Besprechung. Ein letzter Schluck aus der Trinkflasche, dann ertönt ein lauter Pfiff des Schiedsrichters: Das Spiel geht weiter.
Es sind die zahlreichen Eins-gegen-Eins-Duelle und sehenswerten Passkombinationen mit einstudierten Laufwegen, die für Aldag den Reiz des Futsals ausmachen. Genau diese Facetten des Spiels bekommt der VTR-Trainer in einer exemplarischen Situation von seinem Team unmittelbar nach der Auszeit gebündelt präsentiert: gewonnenes Dribbling, getimter Pass in die Spitze, Ballan- und -mitnahme, Drehung, Schuss, Treffer in den Winkel. Freudenschreie auf dem Platz, tosender Beifall aus dem Zuschauerblock. Torschütze Habib Rahman Azizi sprintet mit ausgebreiteten Armen in Richtung Auswechselbank. Auf der Hälfte der Strecke wird er von den ersten Mitspielern eingeholt, in der Coaching-Zone verwandelt sich das Team schließlich in eine blau-weiße Jubeltraube. Ein Moment, der sinnbildlich für die Mentalität der Rintelner Futsaler steht: Erfolg ist immer ein Kunstwerk der Gemeinsamkeit.
Die Endrunde zur Niedersachsenmeisterschaft hat die VTR erreicht. Das erste Spiel beim VfL Oldenburg ging 2:4 verloren. Am Samstag sollte es für die Rintelner gegen den FSV Tostedt um die letzte Chance gehen, die Tür zur Regionalliga offen zu halten. Die Generalabsage des Niedersächsischen Fußballverbandes hat das Unterfangen vorerst gestoppt. Wann die Spiele nachgeholt werden, steht noch nicht fest.
Futsal ist anders:
Futsal ist eine spezielle Art von Hallenfußball, die ihren Ursprung in Südamerika hat. Heute wird die neue Kultsportart in über 90 Ländern auf der ganzen Erde gespielt. In Brasilien, Uruguay, Portugal, Italien, Holland und Spanien erlebt sie einen wahren Boom. Aber auch hierzulande wird das gegenüber dem Fußball schnellere Futsal immer beliebter. Die Regeln sind teilweise deutlich anders beim normalen Hallenfußball. Es treten jeweils fünf Spieler gegeneinander an, und gespielt wird auf normale Handball-Tore. Ein Spiel dauert 40 Minuten (zwei Halbzeiten mit jeweils 20 Minuten). Die Spiele werden von zwei Schiedsrichtern geleitet, die sich an der Außenlinie aufhalten. Anders als beim normalen Fußball wird die Zeit angehalten, wenn der Ball ins Aus rollt oder ein Spieler verletzt ist. Ein weiterer Unterschied zu der Rasenvariante ist die Art des Balles. Denn beim Futsal ist dieser so gefertigt, dass er weniger springt. Zudem ist das Spielgerät etwas kleiner und leichter.
Anzeige: Erlebe die gesamte Bundesliga mit WOW und DAZN zum Vorteilspreis