Was ein Trainerwechsel doch so alles bewirken kann. Nach dem enttäuschenden Aus in der WM-Vorrundengruppe mit Kroatien, Marokko und Kanada setzte der belgische Verband Roberto Martinez vor die Türe und verpflichtete Domenico Tedesco – gerade mal zwei Spiele später feiern die "Roten Teufel" den ehemaligen Leipzig- und Schalke-Coach als ihren Erlöser. 3:0 siegte Belgien zum Auftakt der EM-Quali in Schweden, beim 3:2-Erfolg gegen das DFB-Team spielte Tedescos Truppe die heillos überforderte deutsche Defensive in der ersten halben Stunde schwindelig.
So brauchte es die Einwechslung von Emre Can, dessen überschaubare Mittel reichten, um bester Deutscher zu sein. "Ich habe versucht, das zu tun, was ich am besten kann", sagte der Dortmunder Abräumer und meine damit exakt die Tugenden, die Flick als Grundvoraussetzung, als "Basis" für jede Partie im Nationaltrikot definiert hatte: Kampf, Einsatz, Willen, Leidenschaft. Genau das zeigte Can und hob sich damit traurigerweise vom Rest der DFB-Elf ab. Bereits drei Tage zuvor bot er beim 2:0 gegen Peru eine ordentliche Leistung in der Mittelfeldzentrale und zählt damit zu den (wenigen) Gewinnern der Länderspielwoche. "Emre hat gezeigt, dass er der aggressive Leader sein kann, er hat die Mannschaft wachgerüttelt", sprach auch der Bundestrainer ein Sonderlob aus. Schon jetzt dürfte klar sein, dass sich der 29-Jährige, der unter Flick erstmals nominiert wurde, in den Kader zurückgekämpft hat.
Auch Niclas Füllkrug ist aus dem DFB-Team nicht mehr wegzudenken, was ebenfalls eine erstaunliche Geschichte ist. Schließlich hatte "Lücke" bis vor eineinhalb Jahren nicht mal einen Stammplatz beim damaligen Zweitligisten Werder Bremen und hat nun erst sechs Länderspiele auf dem Konto – seine Bilanz mit sechs Treffern ist dabei überragend. Gegen Belgien holte er den Handelfmeter raus, den er anschließend selbst mit breiter Brust zum 1:2 verwandelte. Der 30-Jährige ist ein Typ, der voran geht, mit seiner lockeren Art die Fans begeistert. Eben einer, vom dem die Nationalelf mehr vertragen könnte. Vermutlich kein Zufall, dass sich Füllkrug und Can ausgesprochen gut verstehen, ihm der erfahrene Dortmunder sogar den Ball vorm Strafstoß überließ und ihm gut zuredete.
Bayern-Duo bleibt hinter den Erwartungen zurück
Normalerweise hätte man damit rechnen können, dass sich jemand wie Joshua Kimmich die Kugel schnappt, nachdem Kai Havertz gegen Peru verschossen hatte und grippebedingt abgereist war. Doch Kimmich hat momentan – wie so viele Nationalspieler – mit sich selbst zu kämpfen, sobald er im DFB-Dress aufläuft. Genau wie sein Nebenmann Leon Goretzka, der gegen Belgien mit dickem Knöchel ausgewechselt wurde, für das Bundesliga-Topspiel gegen den BVB am Samstag aber wohl zur Verfügung stehen wird. Dem Bayern-Duo gelingt es seit Jahren nicht, auch für Deutschland dieselbe internationale Klasse zu verkörpern wie auf Klubebene. Aktuell scheint es so, dass diese Besetzung der Zentrale erstmal ausgedient hat.
Auch ein weiterer großer Hoffnungsträger zählte zu den Verlierern der ersten Länderspielwoche 2023. Leverkusens Supertalent Florian Wirtz, der die WM aufgrund seines Kreuzbandrisses verpasste, blieb gegen Peru unauffällig und musste zur Halbzeit raus. Gegen Belgien bekam er die Höchststrafe verpasst und wurde nach gerade mal 32 Minuten ausgewechselt. "Er hatte nicht seinen besten Tag. Da muss er durch", sagte Flick über den 19-Jährigen. "Aber er ist so gut und ehrgeizig – ich glaube, das spornt ihn eher noch an."
Gündogan, Müller und Co.: Die Abwesenden als Gewinner
Eigentlich dürfen sich vor allem diejenigen als Gewinner fühlen, die nicht dabei waren wie Ilkay Gündogan, Thomas Müller, Antonio Rüdiger oder Leroy Sané – allerdings zeigte auch bei ihnen die DFB-Formkurve in den vergangenen Jahren selten konstant nach oben, auch sie konnten das WM-Debakel nicht verhindern. Einzig Jamal Musiala bildet da wohl eine Ausnahme. Er konnte – zumindest meistens – auch im DFB-Dress überzeugen.
Spannend wird indes sein, wie Flick mit seinen sechs Neulingen, die er nominiert hatte, umgeht. Marius Wolf zeigte eine starke Partie gegen Peru, wurde gegen Belgien von Lukaku, De Bruyne & Co. allerdings wie ein Schuljunge auseinandergenommen. Den anderen Debüttanten wie Felix Nmecha, Malick Thiaw, Kevin Schade, Josha Vagnoman und Mergim Berisha attestierte der Bundestrainer gute Trainingsleistungen und eine "gute Energie, auch außerhalb des Platzes." Vieles wird davon abhängen, wer von ihnen bei der U21-EM im Juni dabei sein wird.
Der von Flick ausgerufene Probemonat März ist jedenfalls vorbei. Und auch wenn der DFB-Coach von "vielen wichtigen Erkenntnissen" sprach – eine Aufbruchstimmung oder gar Euphorie ist mit Blick auf die Heim-EM noch nicht mal am Horizont zu erkennen. In Belgien sieht das übrigens ganz anders aus.
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