Was für ein Kampf, was für ein packendes Spiel, allerdings ohne Happyend. Deutschlands Handballer kassieren bei der WM ihre erste Niederlage, verlieren gegen 2019-Vizeweltmeister Norwegen im letzten Hauptrundenspiel 26:28 (16:18). Jetzt gilt es am Mittwoch im Viertelfinale gegen Frankreich – mit einer wichtigen Erkenntnis: Deutschland kann mit der Weltspitze, den ganz dicken Brocken, mithalten.
Frankreich oder Spanien – wer liegt uns eher? Norwegens Superstar Sander Sagosen hatte sich schon früh festgelegt: "Ich wünsche mir Spanien. Die Franzosen sind aktuell superstark." Im deutschen Lager waren die Meinungen geteilt. Doch Andreas Wolff gab die Richtung vor: "Wir wollen weiter unsere Welle reiten und gewinnen. Dann ist unser Selbstvertrauen hoch."
Taktieren? Fehlanzeige. Kräfte schonen? Offenbar ja. Denn Bundestrainer Alfred Gislason startete mit Joel Birlehm im Tor, Rune Dahmke auf Linksaußen und Jannik Kohlbacher am Kreis, einem Trio das zuletzt weniger Spielanteile hatte. Dass Norwegen ein anderes Kaliber als zuvor Serben, Argentinien oder die Niederlande ist, merkten die Deutschen schnell. Physisch präsent, drangvoll – so flogen Sagosen (1,95 m) oder die Flensburger Magnus Rod (2,04 m) und Goran Johannessen (1,93 m) durch die deutsche Abwehr.
Die Deutschen, die auf den Berliner Paul Drux (Erkältungsinfekt) verzichten mussten, rannten so früh einem Rückstand hinterher (1:4/5.). Diesmal war es aber der Angriff, der die DHB-Auswahl im Spiel hielt. Allen voran Juri Knorr, der wie fast immer in diesen WM-Tagen gute Entscheidungen traf. Er paarte ansatzlose Peitschen-Würfen mit brillanten Anspielen, plus eine gute Effizienz. Acht Würfe, sieben Treffer, dazu vier Assists. Überragend. Da geriet sogar Fußballstar Lukas Podolski, der in Kattowitz lebt, auf der Tribüne ins Jubeln.
Wolff brilliert nach Einwechslung
Das Aber: Vorn warfen die Deutschen gute Chancen weg, scheiterten immer wieder am in Leipziger Bundesliga-Diensten stehenden Torhüter Kristian Saeveras, Die Abwehr, sie blieb die Problemzone. Kein Zugriff, kein Miteinander, kein Block. Gislason stellte um, versuchte es mit einer offensiven Variante mit Julian Köster als vorgezogene Spitze, als Zerstörer. Es wurde besser. Auch, weil Andreas Wolff im Tor jetzt mitspielte, zwei Siebenmeter und freie Würfe parierte. Nach 27 Minuten ist Deutschland dank Dahmke auf Augenhöhe (16:16) auch im Familienduell. Der Kieler ist mit der Norwegerin Stine Oftedal liiert, der Welthandballerin 2019, die im ungarischen Györ spielt. Sagosen ist mit Oftedals Schwester Hanna verheiratet.
DHB-Sportvorstand Axel Kromer lobt zur Pause (16:18) das "hohe Tempo, die sehr gute Spielanlage. Wir müssen nur effektiver abschließen." Doch das blieb ein Wunsch. Denn als die Abwehr zupackte, der Wolff zubiss, Norwegen zehn Minuten ohne Torerfolg blieb, scheiterten die Deutschen (Dahmke, Groetzki, Steinert) immer wieder an Norwegens letzter Instanz, die nach der Pause Torbjörn Bergerud hieß. Doch die DHB-Auswahl ackerte, rackerte, zeigte Stehauf-Qualitäten. Und nach 52 Minuten war es soweit: Kohlbacher netzte zur ersten Führung (25:24). Ein Intermezzo. Norwegen drehte das Spiel, dank Keeper Bergerud (12 Paraden), der sein Tor vernagelte.
Nach dem Spiel hieß es: Sachen packen. Am Dienstag geht um 11 Uhr der Flieger nach Danzig, wo tags darauf das Alles-oder-Nichts-Spiel ansteht. Und das gegen Frankreich, den Rekord-Weltmeister und aktuellen Olympiasieger. Die Grande Nation um den ehemaligen Kieler Nikola Karabatic (38) und den wohl besten Linkshänder der Welt, Dika Mem (25). Paris, Kielce, Barcelona, Montpellier – alle Spieler sind bei Top-Klubs unter Vertrag. In der Bundesliga heuert im Sommer Torwart Vincent Gerard an. "Die Franzosen sind immer eine Macht, sie kommen über Athletik und Dynamik", sagt Sportvorstand Axel Kromer, "wir sind da Außenseiter, aber diese Chance wollen wir nutzen."
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