Ein Fußballtrainer schießt keine Tore, das ist verbrieft. So könnte das auch ein jeder Profi sagen, der vor den Mikrofonen seinen Trainer in Schutz nehmen müsste. Wenn er in einer Krise gefragt wird, ob er meine, dass der Herr Coach noch der Richtige ist.
In Hannover kommt gerade mal wieder die Zeit, in der diese Fragen gestellt werden. Das liegt vor allem daran, dass 96 keine Tore schießt. Hätte der dafür vorgesehene Marvin Ducksch in den Heimspielen gegen Aue und Kiel nur einen Teil seiner sieben Torchancen genutzt, böten sich andere Themen an. Hannover 96 wäre oben dabei, der Aufstieg nähme Formen an.



Nun musste Trainer Kenan Kocak jedoch entsetzt zuschauen, wie Ducksch Chance um Chance versemmelte. Die letzten vier Partien weisen dazu auf einen Trend hin: 1:4 in Fürth, 0:0 gegen Aue, 1:2 in Würzburg, 0:3 gegen Kiel. Nur einer von zwölf möglichen Punkten – spüren Sie Druck, Herr Kocak? „Ich spüre keinen Druck, es geht allein um 96“, sagt der 39-Jährige, „ich bin ein Kämpfer, ich weiß, was zu tun ist.“
Coach Kocak ist angezählt
Kocak sagt auch vorhersagbare Sätze, die jeder Sportschau-Seher so oft gehört hat, dass er sie auswendig kann: „Ich werde mein Bestes geben und mich auf das konzentrieren, was in meinen Händen liegt. Ich mache mir keine Gedanken um etwas, das ich nicht beeinflussen kann. Alles andere müssen die Verantwortlichen entscheiden.“
Aber was soll er auch sagen? Kocak ist angezählt, enttäuscht natürlich auch. „Es macht mich traurig, dass wir die Erwartungen momentan nicht erfüllen können, vor allem auch, dass wir Martin Kind nicht zufriedenstellen können. Wir telefonieren fast jeden Tag, wie immer werden wir ein offenes und ehrliches Gespräch führen.“
Damit liegt der Ball beim 96-Profichef. Denn das ist ja auch die Frage, die kein TV-Sender auslässt: Wie wird Kind auf die Krise reagieren? „Herr Kocak genießt das Vertrauen. Es gibt bei uns keine Trainerdiskussion“, das ist Kinds Statement von Montag.
Die 96-Trainer seit 2002 - und ihr Punkteschnitt in der Liga (Stand: 15. April 2021)
Aber auch das weiß jeder Sportschauer – solche Aussagen haben ein Verfallsdatum. Im Fall Kocak lässt sich das ziemlich genau auf die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr datieren. Der Trainer muss liefern in den vier schwierigen Ligaspielen des Dezembers beim HSV, in Heidenheim, gegen Bochum und in Regensburg.
Aufstiegsziel "von außen" hereingetragen?
Danach sind 13 Spiele vorbei – das ist etwa der Zeitpunkt, an dem im Vorjahr Trainer Mirko Slomka entlassen wurde. 14 Punkte standen damals nach zwölf Spielen und mit Platz 13 zu Buche. Nach neun Spielen hat Kocak sogar einen Punkt weniger gesammelt als Slomka. Verschärft sich die Krise, könnte der Pokalhit gegen Bremen am Tag vor Heiligabend ein Abschiedsspiel werden.
Nicht einfacher wird’s für Kocak, solange er das intern zwischen Trainer, Sportchef Gerhard Zuber und Kind verabredete Aufstiegsziel nicht öffentlich akzeptiert, sondern wie am Montag erklärt, es sei „von außen“ hereingetragen worden. Es erscheint jetzt zwar unrealistisch, aber es war nun mal die Vorgabe, unter der diese Mannschaft zusammengestellt wurde.
Man kann über Transferflops debattieren, aber nicht das Ziel wegdiskutieren. Das ist Kocaks und Zubers Mannschaft, dafür sind 1,5 Millionen Euro Abfindungen an Spieler gezahlt worden, die Kocak nicht mehr wollte. Für Ron-Robert Zieler, Edgar Prib, Marvin Bakalorz, und Felipe. Und es ist das zweitteuerste Team der Liga.
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Für Kocak spricht, dass ein Zerwürfnis mit der Mannschaft nicht zu erkennen ist. Kind wird auch versuchen, so lange wie irgend möglich an Kocak festzuhalten. Aber absteigen wird er nicht wollen mit dem Trainer. Fußball bleibt nun mal Ergebnissport. Da steht ein Trainer, der keine Punkte holt, zur Disposition. Womöglich wäre es aber schlauer, im Januar in einen neuen Stürmer zu investieren, als schon wieder in einen neuen Trainer.