Die Nachricht traf die Mannschaft gestern wie ein Schock. Klar, geahnt hatten es die Kollegen am Sonntag schon. Sebastian Ernst (26) kam als Letzter in den Kabinenflur vor dem Anpfiff der Partie gegen Darmstadt. Aber nicht allein. Teamarzt Hauke Mommsen und Physio Thomas Klopp schleppten den humpelnden Profi an der Kabine vorbei in den Behandlungsraum.
Trainer Christoph Dabrowski und Sportdirektor Marcus Mann begannen mit ihrem Krisenmanagement. Für Ernst musste Sebastian Stolze spielen. Den Verdacht auf einen Riss der Achillessehne behielten die 96-Chefs für sich. Denn vor dieser Art der Verletzung hat jeder Profi Angst. „Es war gut, dass den Spielern vorm Anpfiff die Schwere der Verletzung nicht bekannt war“, sagte Mann. So kam noch eine anständige Leistung heraus beim 2:2 gegen Darmstadt.



Mannschaft wird am Montag informiert - und macht Gruppenfoto
Vor dem Spiel war Ernsts letzter Sprung nach dem Aufwärmen fast unbemerkt geblieben. Er landete falsch. Fuß, Wade, Knie – überall tat es weh, ihm schossen Tränen in die Augen. Am Montagmorgen bestätigte sich die Befürchtung: Die Sehne ist gerissen. Ernst muss operiert werden und kann nichts anderes tun, als langsam den Weg zurück in den Profifußball zu finden. Die 96-Mannschaft bekam am Montag im Rahmen des Trainings Gewissheit. Die Spieler vereinbarten ein Gruppenfoto für ihren „Sebi“ – den Aufwand betreiben Fußballer auch nicht für jeden.
Sebastian Ernst ist nicht jeder, eher ein besonderer Jedermann. Ein Fußballprofi ohne Allüren, ohne dickes Auto, ohne Penthouse, dafür mit umso mehr Verständnis für die Alltäglichkeiten. Ein Vorbild ist für ihn Lars Stindl – auch so einer, den jeder mag.
"Es tut mir unendlich leid für ihn"
Bei 96 mag es nicht gut laufen für ihn. Dennoch wurde er in Hannover für die Wahl zum Sportler des Jahres nominiert. Gewinnen konnte er nicht, das hätte niemand bei 96 nach unterdurchschnittlicher Jahresleistung geschafft. Aber viele Fans gaben dem geborenen Neustädter ihre Stimme.
„Es tut mir unendlich leid, er wird uns fehlen“, sagt Mann, „es ist eine riesige Enttäuschung und ein Schlag für uns alle. Jeder hat sich gefreut, dass er wieder in die Startelf rückt. Das hat er sich auch mit einer guten Trainingswoche verdient. Es war relativ früh klar, dass er von Anfang an spielt.“ Er war einfach dran gewesen zu zeigen, warum 96 den Aufstiegshelden aus Fürth zurückgeholt hatte.
Sebastian Ernst auf den Spuren von Huszti, Zieler und Co.: Die "verlorenen Söhne" von Hannover 96
Halbes Jahr bis zum Comeback erwartet - oder länger
Aufstiegsheld. Das Wort ist so weit weg von Ernst wie Hannover von München, wo Ernst beim Fußspezialisten Markus Walther in der Schön-Klinik operiert wird. Walther hat viele berühmte Fußballer behandelt, große Stars, darunter der Welttorwart Manuel Neuer. Nach der Diagnose reiste Ernst gestern nach München ab. „Für ihn geht’s jetzt darum, den Schock zu verarbeiten“, meint Mann. Und damit meint er nicht nur die Genesung seiner Sehne.
Die Verletzung der kräftigsten menschlichen Sehne hat einen angsteinflößenden Ruf. Früher konnte das die Karriere kosten. Der Dortmunder Axel Witsel brauchte nach seinem Riss und einer OP exakt ein halbes Jahr bis zum Comeback. Eine kurze Zeit, auch wenn es hart klingt. Wie lange Ernst genau brauchen wird, „kann man noch nicht sagen, bei der Verletzung gibt es eine große Spanne beim Heilungsverlauf“, weiß auch Mann.
Das ist Sebastian Ernst: Eine Karriere in Bildern.
Ernst steckte schon einige Rückschläge weg
Der 26-jährige Ernst hatte große Hoffnungen an seine Rückkehr geknüpft. Nach zehn 96-Jugendjahren war er 2015 auf dem Sprung zum Profi in der Startelf. Da riss das Syndesmoseband.
100 Tage fiel er damals aus, ein Jahr später verpasste er in Magdeburg die Vorbereitung wegen der gleichen Verletzung. Später in Fürth brach er sich den Mittelfuß und fiel drei Monate aus. Er steckte einige Rückschläge weg. Dieser Schlag wird der härteste sein in seiner Karriere. „Wir freuen uns heute schon darauf, wenn wir ihn wieder im Kreis der Mannschaft begrüßen können“, sagte Mann.