10. Mai 2018 / 17:02 Uhr

Hertha BSC-Angreifer Davie Selke: "Ich hatte zu viel Jähzorn und Wut"

Hertha BSC-Angreifer Davie Selke: "Ich hatte zu viel Jähzorn und Wut"

Stephan Henke
Märkische Allgemeine Zeitung
Davie Selke hat sich bei Hertha BSC als Stammspieler etabliert.
Davie Selke hat sich bei Hertha BSC als Stammspieler etabliert. © dpa
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Bundesliga: Der 23-Jährige vor dem Duell mit Ex-Verein RB Leipzig über seine erste Saison in Berlin, einen möglichen Anruf von Jogi Löw und ein gehaltenes Versprechen von Pal Dardai.

Sie haben fünf Tore in den vergangenen vier Spielen geschossen – sind Sie traurig, dass die Saison zu Ende geht?

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Davie Selke: Wenn ich wüsste, dass es so weiterlaufen würde, dann natürlich schon. (lacht) Aber ich kann das gut einordnen. Vor eineinhalb Monaten habe ich eine Phase gehabt, wo ich nicht so viel getroffen habe, da haben alle gefragt, was ist los, warum triffst du nicht? Jetzt heißt es: Ok, der trifft alles. Ich nehme die Phasen so, wie sie sind – alles ganz entspannt.

Am Samstag geht es gegen Ihren Ex-Verein Leipzig. In der Hinrunde (3:2) haben sie zweimal getroffen. Sehen die Fans wieder zwei Selke-Tore?

Ich will jedes Spiel treffen, ob gegen Leipzig oder eine andere Mannschaft, das ist mir eigentlich egal.

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Vor einem Jahr haben Sie noch mit Leipzig hier im Olympiastadion gespielt und beim 4:1-Sieg zwei Tore geschossen. Gab es zu diesem Zeitpunkt schon Gespräche mit Hertha?

Kontakt war immer wieder lose da, es hat aber zuvor noch nicht gepasst und ich bin dann ja auch zu Leipzig gegangen. In den Monaten vor diesem Spiel gab es dann intensiveren Kontakt und nach dem Spiel war klar, dass ich mich entscheiden muss. Ich habe ein gutes Angebot aus England und habe ein tolles Gespräch bei Hertha gehabt. Nach dem Gespräch war mir klar, dass ich Berliner werde.

Also stand vor dem Wechsel nach Leipzig einer nach Berlin im Raum?

Es gab immer wieder einen Austausch. Und im vergangenen Jahr hat alles super gepasst. Die Vorstellungen des Vereins haben mit meinen übereingestimmt, ich habe gemerkt, dass ich Spiele bekommen kann.

8,5 Millionen Euro Ablöse, Hertha-Rekordeinkauf – ist das eine Last?

Das hat mich gar nicht interessiert. Ich bin damals auch schon für viel Geld nach Leipzig gegangen. Das ist eine Summe, für die kann ich nichts, das machen die Vereine unter sich aus. Mir war nur wichtig, dass ich das Vertrauen, das mir die Hertha-Verantwortlichen gegeben haben, zurückgeben kann. Denn in der Zeit der Gespräche hatte ich keine gute Phase, hatte nicht viel Selbstvertrauen. Da war es für mich wichtig, dass ich einen Verein habe, der auf mich baut, der sagt: Du kriegst hier deine Spiele, wir vertrauen dir.


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Hat sich das bewahrheitet?

Es ist alles so eingetroffen, wie sie es gesagt haben. Wenn man einen Spieler haben will, dann sagt man natürlich immer positive Sachen. Aber Pal Dardai und Michael Preetz haben ihr Wort gehalten und haben mir Rückendeckung und Einsätze gegeben. Ich bin momentan sehr, sehr happy hier.

Das ist Ihre persönliche Bilanz, wie sieht das für die Mannschaft aus?

Ich glaube, die ist ok. Wir haben international gespielt, für viele Spieler wie auch für mich war es das erste Mal in der Europa League. Man darf drei Wettbewerbe nicht unterschätzen, das ist nicht ohne. Alle drei Tage zu spielen, die Rotation – dafür haben wir es gut gemacht. Wenn wir jetzt noch gegen Leipzig gewinnen, können wir, glaube ich, alle zufrieden sein.

Mitchell Weiser verlässt den Verein, wie groß ist der Verlust?

Groß, auch für mich persönlich, ich bin gut befreundet mit ihm, aber auch für die Mannschaft. Er ist ein witziger Typ und auch auf dem Platz war er über weite Strecken hier ein ganz, ganz wichtiger Spieler. Aber für uns als Team ist es ok. Wir müssen und werden damit umgehen. So ist das Profigeschäft. Wenn er eine neue Herausforderung sucht und da eine Chance hat, international zu spielen, vielleicht auch Champions League, dann ist es eine Sache, die er machen muss, wenn es zu seinem Entwicklungsschritt passt. Wir hätten ihn gerne hier behalten in Berlin, aber wünschen ihm alles Gute.

Lukas Klünter wurde als Ersatz aus Köln geholt, mit ihm sind Sie, wie mit Weiser, 2017 U21-Europameister geworden. Was ist er für ein Typ?

Er ist ein sehr bodenständiger, sehr ruhiger Typ, der unfassbar schnell ist – also wirklich unfassbar schnell. Er ist ein Spieler mit viel Potenzial. Und es ist ein guter Schritt für ihn. Ich habe ihm geschrieben, zum Wechsel gratuliert und herzlich Willkommen geheißen.

Wenn er Sie fragen würde, wo er was in Berlin unternehmen kann, was würden Sie ihm sagen?

Ich persönlich liebe den Ku’damm, ich bin oft in Charlottenburg unterwegs, meistens Essen. Ich bin nicht der Typ, der durch Museen, Bars oder Clubs rennt.

Bundestrainer Joachim Löw zaubert vor einem Turnier meist immer zwei, drei Spieler aus dem Hut, mit denen keiner rechnet. Denken Sie daran?

Nein! Ich bin immer Realist, ich erwarte nicht, dass mein Telefon in ein paar Tagen klingelt.

Also ist der Urlaub gebucht?

Der ist gebucht, da werde ich die Spiele natürlich verfolgen. Ich glaube, alles kommt zu seiner Zeit. Mir war wichtig, dass ich mich bei Hertha in eine gute Position bringe, weil ich mich bei Leipzig nicht zeigen konnte. Das hat ganz gut geklappt.

Wen würden Sie nominieren?

Dafür haben wir einen Bundestrainer, ich will mich da gar nicht auf eine Seite schlagen. Ich denke, dass sowohl Mario Gomez als auch Sandro Wagner ihre Qualitäten gezeigt haben, auch bei der Nationalmannschaft. Deshalb wird es keine einfache Entscheidung.

Also wäre Timo Werner gesetzt?

Ja!

Sie haben ja mit ihm zusammengespielt, was zeichnet ihn aus?

Timo Werner ist ein Spieler, der sich bei Leipzig sehr gut weiterentwickelt hat. Wenn ich überlege, wie er zu Leipzig gekommen ist, mit wenig Selbstvertrauen. Zuvor hatte er keine gute Phase beim VfB Stuttgart. Und die Entwicklung, die er dann genommen hat, fand ich sehr beeindruckend. Er ist ein super Junge, auch sehr bodenständig. Ich gönne ihm das.

Pal Dardai hat kürzlich ihre Mentalität gelobt. Woher kommt die?

Für mich war relativ früh klar, dass ich in meinem Leben eine seltene Chance habe mit dem Fußball, dass ich da was erreichen kann. Dafür habe ich viel getan, viele Opfer gebracht. Ich wollte unbedingt Profi werden, schon als kleiner Junge. Teilweise war ich auch zu verbissen, mit Jähzorn und zu viel Wut bei der Sache. Mittlerweile bin ich auch ein bisschen älter geworden und kann das ein bisschen mehr regulieren. Daher kommt die Mentalität, weil ich keinen Plan B hatte und es unbedingt wollte – und ich bin sehr, sehr glücklich, dass es geklappt hat.

Sie haben den Jähzorn angesprochen, nach dem 3:0-Sieg bei Frankfurt gab es Kritik, weil sie Makoto Hasebes Platzverweis provoziert haben sollen. Nachvollziehbar?

Ich sehe das ganz entspannt. Wenn die Leute denken, Partei ergreifen zu müssen, sollen sie das machen. Für mich ist mein Spiel wichtig, dass ich meiner Mannschaft helfe. Das hat in Frankfurt ganz gut geklappt. Wenn danach diskutiert wird, dann ist mir das echt egal.

Fotogalerie: Davie Selke bei RB Leipzig

2015 Juni: Selke neu im Verein (@GEPA Pictures) Zur Galerie
2015 Juni: Selke neu im Verein (@GEPA Pictures) ©

Sie sind sehr gläubig, woher kommt ihr Glaube?

Das kam aus der Familie, ich bin sehr gläubig aufgewachsen. Mein Onkel David ist angehender Pastor in einer Gemeinde in Stuttgart, der Himmelsleiter, wo ich oft hingehe, wenn ich dort bin. Ich höre mir sehr gerne seine Predigten an.

Dann telefonieren Sie auch mal mit ihm und reden über Gott?

Ja klar. Vor allem in schweren Phasen telefonieren wir öfter als in guten. Das gibt mir viel Kraft. Genauso telefoniere ich häufig mit David Kadel, einem Mentaltrainer, der auch Christ ist und spreche mit ihm über Gott. Ich bin allerdings nicht so bibelfest, im Gegensatz zu den beiden.

In der vergangenen Woche gab es Wirbel um Jordan Torunarigha, der sich über seine Rolle auf der Bank beschwert hat. Wie kommt so etwas in der Mannschaft an?

Jordan ist ein junger Spieler mit super viel Potenzial, ich halte sehr viel von ihm. Klar, er will spielen, aber man muss auch sehen, dass zwei gestandenere Spieler vor ihm stehen. Wir wissen als Mannschaft, was wir an ihm haben. Er war immer da, hat super Spiele gemacht, als er seine Chance bekommen hat und hat sie genutzt. Dann ist es immer schwierig, zu akzeptieren, dass man wieder auf die Bank muss. Geduld aufzubringen ist mit das Schwierigste, das war bei mir auch der Fall.

Wäre Ihnen das auch passiert?

Hundertprozentig, das war bei Bremen auch einmal so. Wir haben gegen den VfB gespielt, ein wichtiges Spiel für mich, die Familie war im Stadion, ich komme aus Stuttgart - und stand nicht im Kader, weil ich im Training ein bisschen Blödsinn gemacht habe. Ich war extrem sauer, hab meine Sachen nicht aufgeräumt und bin einfach gegangen. Damals hat mich Clemens Fritz angerufen und gesagt: Junge, du hast so viel Potenzial, das ist einmal, dass du nicht im Kader stehst, entspann dich, bleib ruhig, deine Zeit kommt. Er war damals Kapitän, Führungsspieler. Ich habe immer noch Kontakt zu ihm, ein überragender Typ.

Nach Bremen haben Sie noch mehr Kontakt als zu Leipzig?

Ja, zu Leipzig habe ich fast gar keinen Kontakt mehr, nur noch zu Diego Demme, Yussuf Poulsen und Dominik Kaiser. Rani Khedira ist jetzt nicht mehr dort, mit ihm hatte ich auch viel Kontakt. Das Kapitel ist vorbei.

Dominik Kaiser verlässt Leipzig.

Eine Legende, er hat sehr viel geleistet für den Verein, da kann man nur den Hut ziehen.

Davie Selke (l.) und Praktikant Keave Stimming.
Davie Selke (l.) und Praktikant Keave Stimming. © Stephan Henke

FIFA 18: Die aktualisierten Werte und Potenziale von Hertha BSC

FIFA 18: So haben sich die Spielerwerte der Hertha-Profis zur Rückrunde 2017/18 verändert Zur Galerie
FIFA 18: So haben sich die Spielerwerte der Hertha-Profis zur Rückrunde 2017/18 verändert ©
  • Davie Selke wurde am 20. Januar 1995 in Schorndorf geboren.
  • Am 25. Mai 2011 feierte für das U16-Nationalteam im Berliner Olympiastadion sein Debüt, MAZ-Praktikant Keave Stimming war damals als Erstklässler im Stadion. „Ich war aufgeregt, hab mich riesig gefreut. Die Nervosität war bei 25 000 Zuschauern da und ich habe gehofft, dass ich spiele. Ich kam, glaube ich, sechs oder sieben Minuten vor Schluss rein, hatte gleich einen Lattenschuss, stand aber im Abseits.“, erinnert sich Selke.
  • Der Stürmer wurde U19- und U21-Europameister und holte Silber bei Olympia in Rio.
  • Seit 2017 spielt er für Hertha, zuvor für RB Leipzig und Werder Bremen.

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