10. November 2020 / 17:39 Uhr

"Ich bin der einzige Normale": Bahnradsportler Levy im Interview

"Ich bin der einzige Normale": Bahnradsportler Levy im Interview

Tobias Gutsche
Märkische Allgemeine Zeitung
Maximilian Levy geht als einziger deutscher Fahrer bei der Bahnrad-EM in Bulgarien an den Start.
Maximilian Levy geht als einziger deutscher Fahrer bei der Bahnrad-EM in Bulgarien an den Start. © imago images/Beautiful Sports
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Der Cottbuser Sprinter Maximilian Levy startet bei den Europameisterschaften in Bulgarien - keine weiteren Deutschen sind dabei. Vorab spricht er über seinen Alleingang ins Corona-Risikogebiet, Finanzen und das Damoklesschwert über ihm. 

Bulgarien ist als Corona-Risikogebiet eingestuft. Daher hat der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) seine Teilnahme bei den am Mittwoch beginnenden Bahnrad-Europameisterschaften in Plowdiw abgesagt. Einzig dem 33-jährigen Cottbuser Maximilian Levy wird als Ausnahme die Startmöglichkeit eingeräumt. Vor dem Wettkampf sprach Deutschlands „Lonesome Rider“ mit dem SPORTBUZZER.

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SPORTBUZZER: Herr Levy, Sie rasen auf Ihrem Fahrrad mit 70 bis 80 Stundenkilometern über das Bahn-Oval. Sind Sie ein Mensch, der das Risiko liebt?

Maximilian Levy: Ich bin schon der Typ, der vieles ausprobiert – auch Dinge, die er vielleicht nicht kann oder nicht kennt. Aber ich würde nicht sagen, dass ich ein risikobehafteter Typ bin. Mit dem Tempo auf der Bahn bin ich vertraut, das ist, was ich alltäglich mache.

Nun wagen Sie den EM-Start im Risikogebiet. Warum?

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Weil ich für das weitere Training und für die Motivation einen richtigen Leistungsnachweis brauche. Nach der Verschiebung der Olympischen Spiele, die extrem bitter war, gerade in meinem Alter, habe ich nach vielen schwierigen Überlegungen mit meiner Familie entschieden, den Leistungssport weiterzumachen. Dafür musste ich mir neue Zwischenziele setzen. Das Damoklesschwert hängt dabei immer über dem Kopf, dass in diesen Zeiten etwas dazwischenkommen kann. Ich hatte mich auf diese EM gefreut, viel auf mich genommen, um gut vorbereitet zu sein. Insofern war die Absage des BDR ein weiterer Rückschlag. Aber ich bin froh, dass es jetzt doch klappt und nicht alles umsonst war. 

Der Verband begründete Ihre Einzelerlaubnis damit, dass Sie als einziger im Nationalteam keiner Sportfördergruppe – zum Beispiel bei der Bundeswehr oder der Polizei – angehören und damit wirtschaftlich anders aufgestellt sind. Sie sind damit ein Exot...

Ich sage immer: Ich bin der einzige Normale (lacht). Also mit bürgerlichem Beruf. Ich habe Industriekaufmann gelernt, bin einen anderen Weg gegangen und froh darüber.

In Bildern: Das sind Brandenburgs Sportler des Jahres seit 1998.

Brandenburgs Sportler des Jahres seit 1998. Zur Galerie
Brandenburgs Sportler des Jahres seit 1998. ©

Warum wollten Sie nie in eine Sportfördergruppe?

Das hat mich einfach nicht gereizt. Ich bin der kaufmännische Typ, meine Eltern hatten früher einen Einzelhandel, womit ich aufgewachsen bin und was ich interessant fand. Und außerhalb dieser Gruppen konnte ich unabhängiger sein, musste mich keinen Zwängen von anderen Institutionen aussetzen.

Wie finanzieren Sie sich?


Ich habe eine Halbtagsstelle bei der Leag (Lausitzer Energieunternehmen, Anm. d. Red.) und ab Januar dann bei der IK Bau (Baufirma in Cottbus, Anm. d. Red.).

Moment mal – neben dem Training gehen sie wirklich arbeiten?

Mal mehr, mal weniger. Es wird mir der Rücken für alle Trainings- und Wettkampfmaßnahmen frei gehalten. Wenn es geht, mache ich im Unternehmen ein paar Sachen mit.

Das allein reicht finanziell wohl kaum.

Ich werde außerdem vom Chemnitzer Profi-Team TheedProjekt-Cycling, der Deutschen und Brandenburger Sporthilfe und der AOK Nordost unterstützt. Hinzu kommen Gelder von Wettkämpfen. Ich muss Leistungen nachweisen, kann nicht locker lassen. Daher war es auch mein Wunsch, mich bei der EM präsentieren zu können.

Deutschlands Olympia- und Paralympics-Kaderathleten gaben in einer Umfrage an, dass sie für 2020 wegen der Pandemie im Schnitt einen monatlichen Einnahme-Rückgang um fast 1300 Euro haben, was 25 Prozent ausmachen soll. Für 2021 wird von noch mal zusätzlich 600 Euro pro Monat ausgegangen. Wie gestaltet sich die Lage bei Ihnen?

Das geht bei mir in die gleiche Richtung. Es gibt viele Variablen, aber es werden wohl 15.000 bis 20.000 Euro im Jahr sein. Die Sechstagerennen mit Prämien, Veranstaltungen, auf denen ich als Redner oder PR-Gast bin – das sind Dinge, bei denen ich immer wieder ein Taschengeld verdienen kann. Das fällt alles flach.

Ist der Start an der EM, zu der neben Deutschland weitere Nationen nur wenige oder gar keine Athleten entsenden, lukrativ?

Der Europäische Verband zahlt 730 Euro für einen EM-Titel – damit lassen sich keine Berge versetzen. Aber auch bei 5000 Euro wäre das nicht meine Hauptmotivation, sondern ich möchte ein sportliches Ausrufezeichen setzen.

Maximilian Levy gewann bisher drei Olympiamedaillen und ist mehrfacher Welt- sowie Europameister. 
Maximilian Levy gewann bisher drei Olympiamedaillen und ist mehrfacher Welt- sowie Europameister.  © Patrick Pleul/dpa

Mussten Sie wegen Ihres Alleingangs nach Bulgarien die Organisation und Kosten selbst übernehmen?

Der Verband hat mich unterstützt. Ich bin mit einem dreiköpfigen Betreuerteam hier, wir sind klein aber schlagkräftig. Bei den Kosten haben wir mit dem BDR ein Gentlemen’s Agreement gefunden, teilen uns die Kosten. Wenn ich gut performe, bekomme ich ja vielleicht noch etwas mehr wieder (lacht). 

Was ist Ihr Ziel?

Ich will um die Medaillen mitfahren. Zuletzt konnte ich im Training eine Flachland-Bestzeit aufstellen. Das zeigt: Ich bin in Form – und Alter schützt vor Leistung nicht.

Wie lief die Anreise nach Plowdiw?

Unser Direktflug von Berlin nach Sofia wurde am Freitag storniert. Wir mussten umbuchen – mit Zwischenstopp in Warschau und ordentlichem Preisaufschlag. Von Sofia sind wir 150 Kilometer mit dem Mietwagen weitergefahren, waren am Ende zwölf Stunden unterwegs. Aber das hält uns alles nicht auf.

Wie verhält es sich mit den ganzen Corona-Regeln?

Die ganze Welt ist ja gerade ein Risikogebiet. Von daher musste ich mich viel mit dem Regelwerk auseinandersetzen, das in schöner Regelmäßigkeit geändert wird. Der nervtötendste Part war, einen Weg zu basteln, ohne Quarantäne hin und ohne wieder zurückzukommen. Als Teilnehmer einer internationalen Sportveranstaltung klappt das ganz gut. Ich sehe hier wenig Risiko, mich anzustecken. Wir haben wenig Kontakt, eine eigene Hoteletage, einen eigenen Essensraum und halten in der Halle Abstand.

Voriges Jahr haben Sie in etwas mehr als zwölf Stunden den Ironman in Frankfurt am Main gemeistert. Was hat Ihnen mehr zugesetzt: dieser Triathlon oder die quälende Unsicherheit in der Saison 2020?

Gute Frage, es ist schwer zu vergleichen. Aber der Weg zu Olympia ist dieses Mal besonders lang und hart. Da schadet es sicher nicht, wenn man schon mal einen Ironman durchgestanden hat (lacht).

Zur Person:

Maximilian Levy (33) aus Cottbus gehört zu Deutschlands besten Bahnradsprintern. Der gebürtige Berliner gewann drei Olympiamedaillen (2008 Bronze Teamsprint, 2012 Silber Keirin und Bronze Teamsprint). Er wurde viermal Welt- und fünfmal Europameister, hinzu kommen weitere sechs WM- und vier EM-Medaillen. 2013 wurde Levy als Brandenburger Sportler des Jahres geehrt. In seiner Karriere kämpfte sich der Vater dreier Kinder nach schweren Verletzungen (drei Schlüsselbeinbrüche) mehrfach zurück.

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