Die Geschichte klang viel zu schön, um wahr zu sein: Jann-Fiete Arp, Jahrgang 2000, schafft beim Hamburger SV den Durchbruch zum Profi, schießt nach seinem Debüt zwei Tore hintereinander und avanciert zum umjubelten Shootingstar des kriselnden Traditionsvereins. Den ersten Abstieg der Vereinshistorie kann er zwar nicht verhindern, trägt aber maßgeblich dazu bei, die Stimmung bei den Fans umzukehren. Ins Positive. Der schwere Gang in die Zweitklassigkeit fühlt sich plötzlich doch nicht so dramatisch an. Arp gibt nämlich wieder Anlass zur Hoffnung.



Der HSV und sein Umfeld lechzen seit Jahren nach Identifikationsfiguren aus dem eigenen Stall, die so etwas wie den Startpunkt für eine Umkehr zur Vernunft markieren. Weg von der Illusion, mit den Millionen eines wankelmütigen Investors Erfolge aus der Vergangenheit in der Gegenwart zu wiederholen; hin zur Überzeugung, dem Nachwuchs den Vortritt zu lassen, um in Zukunft eigene Erfolgsgeschichten zu schreiben. Der HSV will ein normaler, bodenständiger Fußballverein werden, der seinen Fans nicht mehr peinlich sein muss. Talentierte Eigengewächse kommen da gerade recht. Ihnen verzeihen die Anhänger Rückschläge und Schwächephasen eher als gestandenen Großverdienern auf der Durchreise.
Gisdol nutzte Arp-Effekt
Ex-Trainer Markus Gisdol wusste diesen Effekt mit der überraschenden Berufung von Arp zu den Profis im Herbst 2017 für sich zu nutzen, um inmitten einer sportlichen Krise Zeit für sich zu gewinnen. Der Hype um den damals erst 17-jährigen lenkte von eklatanten Managementfehlern ab. Zumindest bis Ende Januar, dann musste Gisdol die Koffer packen. Der Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen und Sportchef Jens Todt flogen zwei Monate später. Ihr Rettungsplan mit dem neuen Trainer Bernd Hollerbach scheiterte krachend, war aber nicht die einzige folgenschwere Fehleinschätzung. Sie versäumten eines der begehrtesten Talente des Landes langfristig an den Verein zu binden. Damit entgingen die Chance auf Millionen, die dringend zur Sanierung gebraucht werden.
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"Dem Klub das zurückgeben, was er verdient hat"
Als Arp im vergangenen Juli der Verlockung eines lukrativen Angebots vom FC Bayern München widersteht und seinen Vertrag beim HSV um ein Jahr bis 2020 verlängert, jubeln die Anhänger. Ein seltener Triumph über die Mechanismen des hochkommerziellen Profigeschäfts, in dem Vereinsromantik keinen Platz mehr hat. Arp verstärkt die kollektive Begeisterung über sein achtbares Bekenntnis mit jeder Menge Pathos. Es sei keine Option für ihn gewesen, den Verein nach dem Abstieg frühzeitig zu verlassen. „Gerade in so einer harten Zeit kann und will man sich nicht vom HSV trennen, sondern dem Klub das zurückgeben, was er verdient hat. Deshalb war für mich früh klar, dass dieser Weg hier beim HSV für mich noch nicht beendet ist“, wurde er auf der Vereinshomepage zitiert.
Die positiven Schlagzeilen nehmen die Verantwortlichen gern mit. Aber sie verschweigen der Öffentlichkeit die ganze Wahrheit. Dass Arp längst in München unterschrieben hat, soll geheim gehalten werden. In dieser Woche platzte die Bombe trotzdem: Arp wechselt entweder in diesem Sommer, spätestens aber 2020 nach München – für schlappe 2,5 Millionen Euro.
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Entscheidung liegt bei Jann-Fiete Arp
Der große Verlierer dieses neuen PR-Desasters beim HSV ist ein ohnehin schon verunsichertes Talent, das an seiner Formkrise und Degradierung zum Ergänzungsspieler verzweifelt. Es sind nicht nur die Klubbosse, die nun Kritik und Pfiffe der Fans aushalten müssen – sondern der inzwischen 19-jährige Arp. Immerhin kann er selbst entscheiden, ob er 2019 oder 2020 zum Rekordmeister wechselt. So oder so hat er sich mit den Bayern die höchste Hürde im deutschen Fußball ausgesucht. Ob er sportlich die Klasse hat, sich irgendwann dort durchzusetzen, steht indes auf einem anderen Blatt Papier. Derzeit reichen seine Leistungen nicht mal für einen Stammplatz in der zweiten Liga.
Vorstandsvorsitzender Hoffmann zum Transfer von Fiete Arp
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Am Freitagnachmittag äußerte sich der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV zu der Geheimhaltung um den Transfer von Arp. So sagte Bernd Hoffmann in einer Presserunde: „Zum damaligen Zeitpunkt haben wir es für eine gute Lösung gehalten. Sie trug Fietes Wunsch, noch ein oder zwei Jahre beim HSV zu spielen, Rechnung. Danach haben wir uns in der Verantwortung der Klubs dazu entschieden, den Wechsel noch nicht zu kommunizieren“, sagte der Vorsitzende des HSV. „Fiete ist hinsichtlich des nicht kommunizierten Transfers aus jeder Verantwortung zu nehmen. Er hat nach der letzten Saison gesagt, dass er beim HSV bleiben will, um den Abstieg zu korrigieren.“