Gegen Ende seines denkwürdig absurden Vortrags hat sich Gianni Infantino auch noch mit Jesus verglichen, als Krönung des eigenen Größenwahns. “Ihr könnt mich kreuzigen”, rief der FIFA-Präsident der Weltpresse zum Start der WM in Katar zu. Was er damit meinte: nicht das Gastgeberland sollte kritisiert werden, nicht Spieler und Trainer sollten sich mit Menschenrechtsfragen beschäftigen müssen. Nein, wenn die Medien an diesem Turnier herummäkeln wollten, dann sei er, Infantino, der passende Adressat.
Neben Jesus konnte man bei seinem rund einstündigen Monolog auch an jemanden anderen denken, nämlich an: Donald Trump. Wie der Ex-US-Präsident stellte Infantino sich, seine FIFA und die Wüsten-WM als Opfer einer Medienkampagne dar, teilte aus gegen Europa, das sich wegen seiner Geschichte nicht als moralische Instanz aufspielen dürfe, brachte absurde Vergleiche vor (“Ich wurde als Kind wegen meiner roten Haare und meiner Sommersprossen diskriminiert”) und wiederholte sein Mantra, dass das Turnier in Katar die beste WM überhaupt werden würde.
Für einen FIFA-Präsidenten sollte der Start der vierjährlichen Weltfußball-Messe eigentlich eine freudige Angelegenheit sein, doch Infantino wirkte nicht wie jemand, der sich freute. Im Gegenteil: er saß auf seinem Podest, verbittert und voller Zorn auf alle, die die WM in Katar in Frage stellen. Ganz nebenbei konterkarierte er mit seinen Ausführungen zu Menschenrechten, Arbeitsbedingungen, der Verbrüderung aller Völker durch den Fußball und einem potenziellen Turnier in Nordkorea seine kürzlich ausgegebene Direktive, die doch gelautet hatte: es ist jetzt genug über Politik gesprochen worden! Ab jetzt stehen die Spiele im Fokus!
Infantino sieht sich mit seiner FIFA als Weltverbesserer
Infantino will ganz offensichtlich beides: er will mit seiner FIFA als Weltverbesserer gesehen werden – und er will eine WM in Katar, bei der die Umstände ausgeblendet werden. Doch beides geht nicht. Der Fußball ist entweder politisch oder er ist es nicht. (Spoiler: Er ist es.)
Der FIFA-Präsident dürfte kaum gehofft haben, mit seinem Auftritt die Aufmerksamkeit von politischen Themen auf den Fußball zu lenken, er hätte sonst keine knappe Stunde gesprochen, bis er endlich sagte: “…und jetzt können wir über die WM reden.” Seine Strategie war klar: Er wollte jegliche Kritik an der WM als scheinheilig, hochmütig und rassistisch gegenüber dem Gastgeberland darstellen und ihr damit die Berechtigung entziehen. Diese Taktik dürfte nicht aufgehen.
Diese Aussage war eine dreiste Anmaßung
Er fühle sich als Schwuler, als Behinderter, als Wanderarbeiter, sagte Infantino zu Beginn seines Vortrags, um zu beweisen, dass die WM für jeden sei, doch seine Aussage war eine dreiste Anmaßung, der Gipfel der Hybris. In der privilegierten Position eines FIFA-Präsidenten kann er nicht für sich beanspruchen, das Schicksal der genannten Gruppen nachzuempfinden.
Privilegiert ist übrigens auch sein Pressesprecher, der zum Abschluss der Veranstaltung die eigene Homosexualität preisgab. Dieses Manöver sollte zeigen, wie offen die FIFA sei, und dass Menschen aller Orientierungen in Katar willkommen seien. Doch leider wirkte es nur wie ein Teil der absurden Infantino-Inszenierung.
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