Während in vielen anderen Sportarten und auch in der Frauen-Konkurrenz längst ein Generationswechsel vollzogen wurde und unverbrauchte Gesichter die Wettbewerbe mitgestalten, zeigte sich das Herren-Tennis in den vergangenen Jahren nahezu immun gegen diesen Trend. Die Titel bei den Grand Slams teilten sich meistens die "Großen 3", Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic. Die legendäre Troika holte in Summe 56 der letzten 68 Gesamtsiege bei den Australian Open, den French Open, Wimbledon und den US Open. Eine beispiellose Dominanz, deren Ende trotz des fortgeschrittenen Alters der Superstars nicht absehbar war - bis das Coronavirus auch die Tennis-Welt zum Stillstand brachte.
Die globale Pandemie könnte nun einem Generationswechsel den Weg bereiten. Beim ersten Grand Slam seit dem Ausbruch von Covid-19, den US Open, besiegte der Österreicher Dominic Thiem den Deutschen Alexander Zverev in einem der jüngsten Finals der Grand-Slam-Geschichte. Der 27-jährige Thiem machte sich damit zum ersten Sieger eines der vier Top-Turniere, der nach 1990 geboren wurde und sorgte in Abwesenheit der drei Legenden für ein erstes Ausrufezeichen der Generation, die nach Federer (39), Nadal (34) und Djokovic (33) das Tennis beherrschen will.



Dazu gehören neben Thiem und Zverev (23), der in seinem ersten Grand-Slam-Finale stand, auch andere Hoffnungsträger wie Daniil Medwedew (24), Stefanos Tsitsipas (22), Andrey Rublev (22), Alex de Minaur (21) oder Denis Shapovalov (21). Jungstars, die bei den Top-4-Turnieren des Jahres bisher höchstens mit einigen Achtungserfolgen gegen die Oldies aufgefallen waren, in den vergangenen ein, zwei Jahren aber immer stärker wurden.
Spötter werden sagen, dass es die Pandemie, eine schwere Verletzung und eine Disqualifikation gebraucht hat, um das herbeizuführen. Das ist sicherlich richtig. Die Absagen des Weltranglistenzweiten Rafael Nadal aus Furcht vor den gewaltigen Corona-Zahlen in den USA, die Knie-OP von Roger Federer und die Unbeherrschtheit von Novak Djokovic im Achtelfinale trugen ohne Zweifel dazu bei, dass die neue Generation eine größere Chance denn je hatte, ein Grand Slam zu gewinnen. Doch die Art und Weise, wie Thiem, Zverev, Medwedew & Co. danach oft spektakulär aufspielten, gibt Anlass zur Hoffnung, dass die erdrückende Dominanz der "Großen 3" ein Ende finden wird, wie es zum Beispiel Boris Becker erwartet - und künftig neue Gesichter die Tennis-Weltspitze bereichern und zumindest auf Augenhöhe mit Nadal & Co. agieren können.
Thiem, Zverev & Co. müssen ihre Ansprüche bei den French Open untermauern
Die schwierigste Aufgabe steht den jungen Aufsteigern allerdings noch bevor: Sie muss den Anspruch untermauern, dauerhaft um Grand-Slam-Titel mitzuspielen - vor allem dann, wenn die Routiniers zurück sind. Der Triumph von Thiem taugt aus genannten Gründen nur bedingt als Indikator. Denn mit Nadal und Djokovic kehren zumindest zwei der Platzhirsche schon bei den French Open Ende September wieder zurück - sie greifen erneut nach dem Titel. Bisher waren die Jungstars meistens nicht in der Lage, die Ü30-Fraktion im direkten Duell in die Knie zu zwingen. Paris wird Aufschluss darüber geben, ob die Show der Jungstars auf der großen Tennis-Bühne von Flushing Meadows nur ein Strohfeuer war, oder diesmal Bestand hat.