Bester Stimmung waren die Engländer ins Halbfinale gezogen und nach einer Zerstreuung, die für viel Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Zu einer Aufwärmübung im Training mit einem Gummihuhn hatte Coach Gareth Southgate seine Mannschaft angewiesen, was nach dem Planschen mit Plastikeinhörnern, Darts und einem Ausflug in einen Freizeitpark als nächster Beleg für das ganz neue WM-Gefühl der „Three Lions“ gewertet wurde. Doch weil es am Mittwochabend im Halbfinale gegen Kroatien im Moskauer Luschniki-Stadion nach einem lange Zeit überlegen geführten, dann aber aus der Hand gegebenen Spiel eine 1:2-Niederlage nach Verlängerung setzte, dürfen sich die Engländer nicht weiter an ihrem ungewohnten Turniermodus erfreuen.
Kroatiens Co-Trainer Ivica Olic jubelte nach dem Sieg ins ZDF-Mikro: „Unser Weg war nicht einfach. Ich kann nur sagen, dass wir das verdient haben. Wir wurden für unser Spiel belohnt. Unser Traum geht weiter.“ Englands Stürmer Harry Kane war dagegen die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben: „Wir haben uns so reingehängt. Die Fans waren so wahnsinnig. Es tut weh. Es wird eine Weile noch wehtun. Aber wir gehen erhobenen Hauptes vom Platz.“
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Durch den später errungenen Sieg erwarben die Kroaten die Zulassung fürs Finale am Sonntag gegen Frankreich, das sich bereits am Dienstag gegen Belgien 1:0 durchgesetzt hatte. Kieran Trippier hatte England mit seinem direkten Freistoß in der fünften Minute in Führung gebracht. Der frühere Dortmunder und Wolfsburger Ivan Perisic glich aus (68.), ehe der frühere Münchner Mario Mandzukic mit seinem Tor das Spiel drehte (109.). Kroatien steht nun erstmals in seiner Geschichte im WM-Finale. Dorthin hatten es die Engländer zuletzt 1966 geschafft, und in weiser Voraussicht der kommenden mageren fünf Dekaden gewannen sie damals den Titel gegen Deutschland. Nun bleibt ihnen am Samstag das Spiel um Platz drei gegen Belgien.
„Three Lions“ wieder mit Standardtor
Vor dem Spiel gegen Kroatien fingen die Stadionkameras im Fanblock der Englänger ein Southgate-Double ein, und kaum hatte dieser falsche Southgate seine Weste gerichtet, durfte auch das Original den bestmöglichen Start ins Halbfinale bejubeln. Einem Foul von Luka Modric an Dele Alli gut 20 Meter vor Kroatiens Tor folgte Trippiers Freistoß, der nicht besonders platziert, aber verdeckt ins Netz flog. Southgate ballte die Faust, ehe er rasch wieder Haltung annahm. Hinter Jordan Pickfords Tor dagegen ging es im Jubelrausch der zahlreichen Fans der „Three Lions“ lange drunter und drüber wie vor der Bühne eines Rockkonzerts.
Das Tor fügte sich ins Bild dieses Turniers. 70 Standardtore waren es nun von insgesamt 159. Der Treffer bildete zudem das prägende Mittel der Engländer ab. Von ihren bis dahin zwölf Toren hatten sie nun neun nach ruhenden Bällen erzielt, ein Anteil von 75 Prozent.
Kroatien braucht lange, um ins Spiel zu finden
Als „die beste Gelegenheit, die England bisher hatte und vielleicht jemals haben wird“, hatte Verteidiger Kyle Walker die Aussicht auf den Finaleinzug und den Titelgewinn bezeichnet. Und entsprechend fest entschlossen traten die Engländer auch nach ihrem 1:0 auf. Nach einer halben Stunde traf Harry Kane aus kurzer Distanz, aber sehr spitzem Winkel den Pfosten. Alli hatte hübsch für den Kapitän durchgesteckt, der dieses Turnier mit seinen bisherigen sechs Toren voraussichtlich als treffsicherster Akteur abschließen wird.



Die Kroaten, mit der Hypothek von zweimal 120 Minuten samt Elfmeterschießen gegen Dänemark und Gastgeber Russland in dieses Halbfinale eingezogen, brauchten lange, um ins Spiel zu finden. Ein Distanzschuss von Perisic war ein erster Annäherungsversuch, Eintracht Frankfurts Ante Rebic wagte den zweiten. Die gefährlichere, homogenere Mannschaft aber stellten zunächst weiter die Engländer, die unverändert im Vergleich zum 2:0 im Viertelfinale gegen Schweden agierten.
England wirkt nach Ausgleich geschockt
Auch in der zweiten Halbzeit plätscherte das Spiel zunächst mit leichten Vorteilen für England vor sich hin. Erst ein abgeblockter Schuss von Perisic Mitte der zweiten Halbzeit änderte dies. Drei Minuten später war Perisic vor Walker zur Stelle, der versuchte, die Flanke von Sime Vrsaljko mit einem Hechtkopfball zu klären. Doch Perisic kam vor ihm an den Ball und erzielte ohne gefährliches Spiel das 1:1, wie Schiedsrichter Cüneyt Cakir aus der Türkei befand. Vier Minuten später traf erneut Perisic den Pfosten (72.). Es war nun ein packendes, dramatisches Halbfinale mit Perisic als Hauptdarsteller, und die Engländer wirkten jetzt zuweilen flatterig wie ein Gummihühnerhaufen.
Erst nach und nach gewannen sie wieder an Sicherheit und hatten in der Verlängerung durch John Stones’ Kopfball, natürlich nach einem Eckball, die Chance zum 2:1, doch Vrsaljko rettete mit dem Kopf auf der Linie. Auf der Gegenseite scheiterte Mandzukic an Pickfords Knie, ehe er in der zweiten Halbzeit der Verlängerung nach Kopfballvorlage des nimmermüden Perisic an Englands Torwart vorbei zum entscheidenden 2:1 einschob. Die gute Stimmung der Engländer war endgültig dahin.
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