05. April 2020 / 18:00 Uhr

Leipziger Wirtschaftsprofessor Zülch: "Man kann davon ausgehen, dass RB nicht ins Schlingern gerät"

Leipziger Wirtschaftsprofessor Zülch: "Man kann davon ausgehen, dass RB nicht ins Schlingern gerät"

Thomas Fritz
Leipziger Volkszeitung
Henning Zülch warnt bei einem Saisonabbruch vor Insolvenzen im Profibereich.
Henning Zülch warnt bei einem Saisonabbruch vor Insolvenzen im Profibereich. © dpa / Privat
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Henning Zülch von der Handelshochschule Leipzig (HHL) untersucht die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Fußball-Bundesligisten. Im Interview spricht er über krisensichere Vereine, die Situation bei RB Leipzig und Rezepte für die Zeit nach dem Ausnahmezustand.

Sie untersuchen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auf die Fußball-Bundesliga, die Ergebnisse sollen Ende April herauskommen. Wie schlecht geht es den Vereinen?

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Zülch: Es ist nicht leicht, das flächendeckend festzustellen, weil es keine einheitliche Datengrundlage gibt und die Clubs höchst unterschiedliche Rechtsformen haben. Wir haben uns anhand der am Markt verfügbaren Daten, die zum Teil auf veraltetem Zahlenmaterial beruhen, dem Ganzen angenähert und uns ein Bild von der wirtschaftlichen Lage gemacht. Klar ist: Die jetzige Situation hat ganz gravierende finanzielle Auswirkungen.

Woran machen Sie das fest?

Eine wichtige Kennzahl ist beispielsweise die Eigenkapitalquote, die das Eigenkapital des Clubs ins Verhältnis zu seinen Vermögenswerten setzt. Je höher diese Quote ist, desto krisenfester ist der Club. Eine Eigenkapitalquote, die größer als 40 Prozent ist, halte ich in diesem Geschäftsfeld für einen guten Puffer, um in Krisensituationen eine kurze Phase von einem halben, dreiviertel Jahr gut zu überstehen. Ist die Eigenkapitalquote niedriger, steigt das Krisenrisiko – bis zur Krisengefährdung. Wir haben vier Vereine in einer ersten Analyse identifiziert, die ein erhöhtes Krisenrisiko aufweisen, weil sie mehr Verbindlichkeiten als Vermögensgegenstände aufweisen. Für diese Clubs sind die ausstehenden TV-Gelder essentiell für ihre Überlebensfähigkeit.

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Fortsetzung oder Abbruch: So ist der Stand in den internationalen Topligen

Das Coronavirus legt den Fußball in Europa lahm - mit Ausnahme der weißrussischen Liga müssen alle Wettbewerbe pausieren. Die Länge der Zwangspause ist dabei unterschiedlich bemessen. Der <b>SPORT</b>BUZZER fasst den Stand zusammen - wie lange pausieren die Ligen in Europa? Zur Galerie
Das Coronavirus legt den Fußball in Europa lahm - mit Ausnahme der weißrussischen Liga müssen alle Wettbewerbe pausieren. Die Länge der Zwangspause ist dabei unterschiedlich bemessen. Der SPORTBUZZER fasst den Stand zusammen - wie lange pausieren die Ligen in Europa? ©

Welche Vereine sind konkret bedroht?

Zu diesem Zeitpunkt werde ich mich nicht dazu hinreißen lassen, erste Namen zu nennen. Denn sonst kann das Ganze zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Und wie gesagt: Die Datengrundlage lässt keine definitiven Aussagen zu. Hier gilt es weiter und sorgfältig zu recherchieren.

Können Sie zumindest verraten, welche Clubs sich keine Sorgen machen müssen?

Durchaus! Bayern München, Borussia Dortmund, die TSG Hoffenheim und Bayer Leverkusen sind solide aufgestellt. Sie weisen eine hohe Eigenkapitalquote auf und können damit die erste Krisenwelle überstehen. Ebenso profitiert Hertha BSC von der kürzlichen Finanzspritze, die ihnen ihr Investor Lars Windhorst hat zukommen lassen. Hier wird aber entscheidend sein, wie clever dieses Geld künftig investiert wird.

Und RB Leipzig?

Die Finanzinformationen über den Club sind zwar äußerst rar, aber man kann wohl davon ausgehen, dass RB nicht ins Schlingern gerät. Leipzig hat ja jetzt zusammen mit Bayern, Dortmund und Leverkusen für einen Rettungsschirm gespendet, der notleidenden Clubs zu Gute kommen soll. Die Lage ist also sicher nicht existenzgefährdend.


Woran machen Sie das genau fest?

Anhand vorliegender Daten lässt sich ablesen, dass RB eine durchschnittliche Eigenkapitalquote aufweist. Und mit Red Bull haben sie zudem einen starken Sponsor im Hintergrund, der es ihnen erlaubt, langfristig stabil zu arbeiten und zu planen.

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Was wären die konkreten Folgen für die Vereine, falls die Bundesliga monatelang pausieren müsste?

Wenn der Spielbetrieb nicht läuft, haben diese Clubs ein großes Problem. Dann fehlen zunächst Einnahmen aus Tickets, Fernsehen, Merchandise etc. Ohne Geisterspiele, die zumindest das Fließen der TV-Gelder garantieren, wird es Insolvenzen geben. Das ist ein Fakt. Vor allem die Erstligisten sind von den TV-Einnahmen abhängig – und teils auch von Transfererlösen. Das Ticketing hat bei ihnen eine eher untergeordnete Bedeutung, ist aber auch ergebnisrelevant.

Wie sieht es unterhalb der beiden Bundesligen aus?

In der 3. Liga und in den Regionalligen spielen Fernsehgelder eine eher untergeordnete Rolle, dort sind die Zuschauereinnahmen das A und O. Geisterspiele wären für diese Ligen nur bedingt eine Lösung, eine lange Pause hätte einen Flächenbrand zur Folge. Die Regionalligen wie wir sie heute kennen, gäbe es dann womöglich nicht mehr. Natürlich auch, weil die lokalen Sponsoren, die mittelständischen Unternehmen, schwer angeschlagen sind.

Was droht dem Profifußball bei einem Saisonabbruch?

Das hätte ohne Rettungsschirme zahlreiche Insolvenzen zur Folge. Die 36 Klubs der 1. und 2. Bundesliga wird es dann sicherlich in der jetzigen Gestalt nicht mehr geben. Daher können wir alle aus wirtschaftlicher Sicht nur hoffen, dass es möglichst bald Geisterspiele gibt. Als Fußballfan hoffe ich es natürlich nicht. Aber dies ist aktuell der einzige Weg, um unseren Fußball zu retten.

Geisterspiele: Diese Partien wurden bereits ohne Zuschauer ausgetragen

Wegen Fan-Ausschreitungen und dem Coronavirus wurden bereits Geisterspiele in Europa ausgetragen. Der SPORTBUZZER zeigt eine Auswahl.  Zur Galerie
Wegen Fan-Ausschreitungen und dem Coronavirus wurden bereits Geisterspiele in Europa ausgetragen. Der SPORTBUZZER zeigt eine Auswahl.  ©

Die Profis tragen durch einen Gehaltsverzicht zur Stabilisierung ihrer Clubs bei, auch bei RB. Sind künftige Entlassungen bei den Vereinen trotzdem nicht ausgeschlossen, und wen würde es in so einem Fall zuerst treffen?

Die Kostentreiber sind die Profis mit ihren Gehältern. Insofern ist der Lohnverzicht der Spieler der ersten Mannschaft eine nicht nur sinnvolle, sondern notwendige Maßnahme. Von einem Topverdiener können Sie je nach Gehaltsstruktur bis zu zehn Mitarbeiter oder mehr finanzieren. Mitarbeiterentlassungen sollten aber die letzte Maßnahme sein. Vorher wird es eher Kurzarbeit geben. Wenn Sie jemanden freisetzen müssen, dann zunächst in Bereichen, die nicht relevant für das Kerngeschäft sind. Da könnten die Vereine überlegen: Wie viele Athletiktrainer brauchen wir wirklich? Wie viele Leute müssen die sozialen Medien füttern? Wie viele Betreuer brauche ich? Alles, was spieltagsrelevant ist, muss bestehen bleiben.

Wie bewerten Sie das Signal, dass die Fußball-Vereine oben mit dem Kürzen anfangen und nicht bei den schwächsten Gliedern im System? Wenn man an große Unternehmen denkt, ist das ja durchaus keine Selbstverständlichkeit.

Es würde ja finanziell kaum etwas ausmachen, wenn sie zwei Greenkeeper rauswerfen. Die Clubs müssen an die großen Beträge ran, um einen Effekt zu erzielen. Der Markt ist ja ohnehin so überhitzt; die Gehälter haben nichts mehr mit der Realität zu tun. Und auch viele Fans denken sich: Die können ruhig mal etwas abgeben. Das ist auch ein Zeichen der Solidarität gegenüber den übrigen Beschäftigten. Der Fußball hat schließlich auch eine gesellschaftliche Verantwortung und Vorbildfunktion.

Von der Bundesliga leben auch Security- oder Cateringunternehmen. Was bedeutet die Pause für diese Firmen und ihre Mitarbeiter?

Die Unternehmen sind nicht nur abhängig von einem Club wie RB. Im Moment bricht für diese Mittelständler fast alles weg, nicht nur Bundesliga-Spiele. Security-Unternehmen haben überhaupt keine Großveranstaltungen mehr, die sie sichern müssen. Dafür gibt es zumindest in dieser Branche an anderen Stellen wie in Supermärkten oder Drogerien derzeit mehr Einsatzmöglichkeiten.

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Was empfehlen Sie den Vereinen, um aus der Krise zu kommen?

Empfehlungen auszusprechen wäre aktuell verfrüht, da wir das ganze Ausmaß der finanziellen Folgen für den Sport noch gar nicht fassen können. Es ist meines Erachtens aber ganz wichtig, aus dieser Krise zu lernen. Der eine oder andere Club müsste sich professionalisieren und die Managementstrukturen optimieren. Einige Clubs wirtschaften zu riskant, auch wenn die Liga im internationalen Vergleich sehr solide aufgestellt ist. Gerade die DFL wird bei der Reformation des Profifußballs in Deutschland eine ganz entscheidende Rolle spielen. Sie muss beispielsweise erweiterte Transparenzregeln festschreiben und auf die Einführung von Frühwarnsystemen drängen. Überdies sollten sich die Clubs Gedanken darüber machen, ob man sich über neue Geschäftsfelder wie eSports unabhängiger vom Spieltagsbetrieb macht. Es bleibt also spannend!

Zur Person: Henning Zülch ist Professor für Accounting and Auditing an der renommierten HHL Leipzig Graduate School of Management. Er ist Verfasser von über 300 Zeitschriftenbeiträgen zu Themen der Internationalen Rechnungslegung und Finanzkommunikation und beschäftigt sich in seiner Forschung mit der Übertragbarkeit betriebswirtschaftlicher Grundprinzipien auf die erfolgreiche Führung von Sportvereinen.

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