Frankfurt/Dresden. Spieler, Trainer und Vereine aus der Bundesliga mögen ihn oft verflucht haben. Überschwängliche Abschiedsworte für Hans E. Lorenz kommen ausgerechnet von einem, der mit dem scheidenden Vorsitzenden des DFB-Sportgerichts über viele Jahre leidenschaftlich gestritten hat. „Das Sportgericht ist das am besten funktionierende Organ beim DFB“, sagt Deutschlands bekanntester Fußball-Anwalt Christoph Schickhardt. „Er hat die Sportgerichtsbarkeit unabhängig durch die Krisenzeiten des Verbandes geführt.“
Aus Altersgründen scheidet der 71-jährige Lorenz aus dem rheinhessischen Wöllstein beim DFB-Bundestag heute in Bonn aus. Als sein Nachfolger kandidiert sein bisheriger Stellvertreter Stephan Oberholz aus Leipzig. Mitglied des Sportgerichts ist Lorenz seit 1995, Vorsitzender seit 2007. In über 2000 – meist schriftlichen – Verfahren urteilten er und sein Gremium über Streitfälle und Fehlverhalten von Vereinen, Trainern, Spielern, Funktionären und Fans.



Zu den spektakulärsten Fällen gehörte das Phantomtor von Stefan Kießling, der 2013 für Bayer Leverkusen in Hoffenheim durch ein Loch im Netz ins Tor traf, und die TSG dann – vergebens – Einspruch gegen die Spielwertung einlegte. Oder wie nach dem so genannten Platzsturm beim Relegationsspiel 2012 zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC, als es für beide Clubs um die Zugehörigkeit im Oberhaus ging. Nicht ohne Stolz verweist Lorenz auf eine Rechtskraftquote von 99 Prozent beim Sportgericht.
"Haben fast nur gestritten"
Die Gelassenheit ging Lorenz im emotionsgeladenen Fußballgeschäft nie verloren. Er hat vor seiner Pensionierung als Vorsitzender Richter der Großen Strafkammer am Landgericht Mainz über ganz andere Dinge verhandelt: die Wormser Prozesse um Kinderschändung in den Neunzigerjahren zum Beispiel. Seinen Humor schätzten nicht alle Beteiligten bei Verhandlungen in der Frankfurter DFB-Zentrale. Den von Bundestrainer Joachim Löw verschmähten Kießling begrüßte er damals mit den Worten: „Jetzt haben Sie endlich mal eine Einladung vom DFB bekommen.“ Die Miene des Torjägers gefror.
Eintracht Frankfurts arglosen argentinischen Abwehrspieler David Abraham ließ er bei einer Verhandlung erstmal von dessen früheren Mitspieler Lionel Messi erzählen – „um warm zu werden.“ Später brummte er ihm eine siebenwöchige Zwangspause auf, weil er Freiburgs Trainer Christian Streich an der Seitenlinie zu Boden gecheckt hatte. Sehr zum Ärger damals von Abrahams Anwalt Schickhardt. „Was ich mir gewünscht hätte, wäre der eine oder andere Freispruch mehr“, sagt der Sportrechtler aus Ludwigsburg heute, betont jedoch: „Wir hatten ein paar hundert Verhandlungen und haben fast nur gestritten. Aber er ist ein hervorragender Profi, auch im Umgang mit Angeklagten.“
Interne Kommunikation zu kurz gekommen
Schickhardt war als Rechtsbeistand von Vereinen und Spielern in vielen Verfahren der Widerpart von Lorenz und vertrat auch Dynamo Dresden mehrfach. Im November 2011 verhängte Lorenz gegen die Schwarz-Gelben nach Zuschauerausschreitungen in Dortmund einen Ausschluss für die DFB-Pokalsaison 2012/13 – ein bis dahin einmaliges Urteil, das ein anderer Richter in zweiter Instanz in ein Zweitliga-Geisterspiel und 100.000 Euro Geldstrafe umwandelte. Als es 2012 bei einem Pokalspiel in Hannover erneut zu Krawallen kam, war wieder Lorenz am Zug – und diesmal hatte das Startverbot für Dynamo im lukrativen DFB-Pokal Bestand.
Lorenz verhandelte weitere berüchtigte Fälle mit Beteiligung der Dresdner – so 2016, als beim Spiel gegen RB Leipzig unter anderem ein abgetrennter Bullenkopf aus dem K-Fanblock in den Stadioninnenraum fiel. Oder vor zwei Jahren bei der Aberkennung des vermeintlichen 3:3-Ausgleichstors von Dynamo gegen Darmstadt. Selbst der Schiedsrichter räumte nachher seinen Fehler ein, doch vorm Sportgericht bei Lorenz hatte seine Entscheidung Bestand. Die SGD verlor – und stieg am Ende ab.
Dem DFB hinterlässt Lorenz, der Mitglied der Disziplinarkommission bei der UEFA ist, mahnende Worte. Die interne Kommunikation sei etwas, was ihm „beim DFB in den letzten Jahren stark zu kurz gekommen ist. Das hängt natürlich auch mit Corona zusammen, aber nicht nur“, kritisiert er. „Die Kommunikation innerhalb des Verbandes hat, auch weil die Spitze viel mit sich selber zu tun hatte, maßgeblich gelitten. Sie muss dringend in der nächsten Legislaturperiode intensiviert werden – in allen Richtungen.“
Mit: Ulrike John
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