Bei der Weltmeisterschaft in Katar hat es insgesamt mehr als 700 Minuten Nachspielzeit in ersten und zweiten Halbzeiten gegeben. Damit hätten man umgerechnet mehr als acht Extra-Partien bestreiten können. Nun stellt sich die Frage: Werden wir zum Neustart auch in der Bundesliga, der am Samstag nach der Partie des FC Bayern in Leipzig richtig Fahrt aufnimmt, ähnliche Szenen erleben? Und wie werden die Schiedsrichter in Deutschland mit weiteren Erkenntnissen der WM umgehen? Der ehemalige FIFA-Referee Babak Rafati legt dem SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), drei Thesen vor.
1. Längere Nachspielzeiten kommen – sie sind aber Aktionismus
Die Szenen, die wir bei der WM gesehen haben, halte ich für übertrieben. Die große Bühne wurde genutzt, um das Thema Nachspielzeiten in den Fokus zu rücken. In einer Partie, in der es kurz vor Schluss 4:1 steht, braucht es keine zwölf Minuten Nachspielzeit. Ohnehin halte ich das gesundheitlich grenzwertig für die Spieler, für Schiedsrichter ist die Nachspielzeit zudem eine schwierige Phase. Es wird trotzdem in der Bundesliga so kommen. Vielleicht fällt das nicht so extrem aus wie bei der WM, aber trotzdem ist es ein Thema, weil es beim Turnier so praktiziert wurde. Außerdem hat man beim Lehrgang der Schiedsrichter im Januar in Portugal als Marschroute vorgegeben, das Zeitspiel in den Blick zu nehmen. Für mich ist das aber Aktionismus, wenn man die Nachspielzeiten nun gravierend anders bewertet. Dort hatten wir in der Bundesliga doch nie ein Problem. Ohnehin ist fraglich, ob sich das über mehr als einige Spieltage verfestigt.
2. Persönlichkeit muss über Gelben Karten stehen
Wenn wir eins von der WM lernen sollten, ist es der Umgang mit Gelben Karten. Es war schön anzusehen, wie die Referees – selbst einige von der Regel eigentlich vorgeschriebene Verwarnungen – weggelassen haben. Da wurde mehr mit Persönlichkeit gearbeitet. Bei klaren Vergehen, wenn etwa der Ball wütend auf die Tribüne geschossen wird, ist die Gelbe Karte zwingend, keine Frage. Gerade bei weniger gravierenden Unsportlichkeiten hat man als Schiedsrichter aber die beste Möglichkeit, den Kontakt zum Spieler herzustellen, um das mit Kommunikation und Persönlichkeit abzuarbeiten.
3. Schiedsrichter sollen trotz VAR wieder Chefs auf dem Platz sein
Durch den Videobeweis haben wir zuletzt immer häufiger erlebt, dass die Verantwortung verschoben wurde – vom Schiedsrichter auf dem Platz hin zum Video Assistant Referee (VAR) im Keller. Wir müssen dahin zurück, dass der Unparteiische auf dem Rasen der Chef ist. Diese Chef-Position muss er auch mit seiner Sicherheit ausstrahlen. Momentan sehe ich häufig Unsicherheiten, die von den Spielern auch erkannt werden. So würde auch die Akzeptanz des VAR wieder steigern, wenn es um die wirklich wichtigen Entscheidungen geht, die von ihm getroffen werden. Gleiches gilt für Abseitspositionen, die der Schiedsrichter-Assistent klar erkennen kann: Auch wenn die Anweisung ist, er soll die Situation abwarten, sollte der Assistent bei eindeutigen Entscheidungen selbstbewusst die Fahne heben.
Anzeige: Erlebe die gesamte Bundesliga mit WOW und DAZN zum Vorteilspreis