Die ersten zwei Tage bei der Weltmeisterschaft in Katar haben es bereits gezeigt: Die Teams und auch die Zuschauer müssen sich auf längere Nachspielzeiten einstellen. Dass ein Spiel, wie es einst Weltmeister-Trainer Sepp Herberger sagte, 90 Minuten dauert, ist bei dieser WM definitiv nicht der Fall. Im Eröffnungsspiel gab es insgesamt zehn Minuten obendrauf, bei der Partie zwischen England und dem Iran war es bei den Hälften zusammengenommen sogar fast eine halbe Stunde (24 Minuten).
"Das ist völlig sinnlos. Das will doch keiner. Gerade bei einem Spielstand von 6:1 ist eine Nachspielzeit von zwölf Minuten völlig übertrieben", sagt der frühere FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati im Gespräch mit dem SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), und macht für diese Neuerung die Spitze des Weltverbands um Schiedsrichterchef Pierluigi Collina verantwortlich: "Collina hat seinen eigenen Kopf und macht Regelungen, die total spezifisch sind. Aber da steckt natürlich auch ein anderer Gedanke der FIFA dahinter. Wenn ein Spiel länger dauert, kann man sich mehr zeigen und präsentieren, die Leute sitzen auch länger vor dem TV. Das ist reines Kommerzdenken."
Collina hatte erst am Montag bekräftigt, dass man "die Nachspielzeit sehr sorgfältig kalkulieren" wolle. Die Zeit, die durch Zwischenfälle verloren geht, soll komplett nachgeholt werden. "Wir wollen nicht, dass es in einer Halbzeit nur 42 oder 43 Minuten aktives Spiel gibt, das ist nicht akzeptabel", betonte der Schiri-Chef. So solle die Zeit, die durch Torjubel, Auswechslungen, Verletzungen oder Platzverweise verloren gehe, in jedem Fall nachgespielt werde. "Sieben, acht, neun Minuten Nachspielzeit", seien in einem normalen WM-Spiel in Katar durchaus zu erwarten.
Beim Spiel zwischen dem Senegal und den Niederlanden waren es insgesamt zehn Minuten Nachspielzeit, bei der Partie USA gegen Wales 13 Minuten. Gespannt gehen die Blicke bereits auf das Match zwischen Argentinien und Saudi-Arabien, das bei fast 30 Grad an diesem Dienstagmittag (13 Uhr Ortszeit) in Doha stattfindet. Neben der zusätzlichen Belastung für die Spieler sieht Rafati auch keine einfache Situation für die 36 Referees, die bei dieser WM in Katar zum Einsatz kommen.
"In der Nachspielzeit passieren die meisten Fehler der Schiedsrichter, weil die Konzentration aller Beteiligten nachlässt, die Kräfte schwinden und somit wird alles hektischer und unkontrollierter. Mit dieser Regelung tut man ihnen keinen gefallen. Es ist eine sehr gefährliche Zeit", sagt der ehemalige FIFA-Schiri: "Es wird alles addiert und der Schiedsrichter selbst darf es nicht entscheiden – er wird auch nicht permanent die Zeit auf seiner Stoppuhr anhalten. In der Bundesliga handeln die Schiedsrichter nach Bauchgefühl. Und das wäre bei der WM auch angebracht", meint Rafati.