Leipzig. Am Mittwoch um Punkt elf Uhr schlüpfte eine Katze aus dem Sack, die schon vorher rausgeguckt hatte, gerne Drei-Tage-Bart trägt, die deutsche und italienische Staatsbürgerschaft hat, den Fußball bis in alle Verästelungen kennt und auf den Namen Domenico Tedesco hört.
Bei den Roten Bullen steht man auf Pünktlichkeit, Bildersprache und Botschaften. Die Kunde von der Trainer-Verpflichtung ging deshalb nicht um fünf vor zwölf online. Und schon gar nicht um fünf nach zwölf. Hätte sonst Fragen provoziert: Herrje, isses schon zu spät? Hat Jesse Marschs Nachfolger Beinfreiheit und Wischmopp, um feucht durchzuwischen? Elf Uhr. Die Signale des deutschen Vize-Meisters gehen so: Wir stehen auf Platz elf in der Bundesliga! Wir haben rechtzeitig den Richtigen geholt! Wir rollen ab sofort das Feld von hinten auf!



Die Vorstellung des Neuen startete um Punkt 14.30 Uhr, die ersten vier Worte gebührten Boss Oliver Mintzlaff, der am Sonnabend zarte telefonische Bande zu Tedesco geknüpft hatte. „Wir freuen uns sehr.“ Besonders beeindruckt war Mintzlaff über all das, was Tedesco über RB schon beim Erstkontakt wusste. „Eine fantastische Analyse.“
Tedesco hatte in Leipzig schon hospitiert
Tedesco ist weit gereiste 36, hat zwei Kinder, eine Frau und karrieretechnisch klare Vorstellungen über das, was er will und was nicht. Als er Corona- und Visa-bedingt monatelang ohne seine Lieben im großen Moskau weilte, ging das nur eine Zeit lang gut. Sportlich lief es bei Spartak, Tedesco stabilisierte das kriselnde Traditionsteam, führte die Russen auf die Plätze sieben (2020) und zwei (2021). Dann zog der Familien-Mensch die Reißleine und von dannen. Zurück nach Stuttgart, zurück zu Frau und Kindern.
Dass der Mann, der in Aue 2017 ein mittelschweres (Klassenerhalt 2017) und auf Schalke ein wahrhaftiges (Vize-Meisterschaft 2018) Wunder vollbracht hat, zu haben ist, sprach sich in diesem Sommer schnell herum. Tedesco prüfte und verwarf Angebote, sagte unter anderem dem auf Trainersuche befindlichen Hertha-Boss Fredi Bobic ab.
Als der Anruf von Oliver Mintzlaff kam, feierte ein hornalter Mon-Chéri-Werbeslogan fröhliche Urständ: Wer kann dazu schon nein sagen? Tedesco, der auf seinem Weg zum Fußball-Lehrer 2016 am Cottaweg hospitiert hatte („das Ganze hat mich damals schon sehr interessiert“), musste nicht lange überlegen. Erster Eindruck? „Überwältigend, top.“ Der Club? „Innovativ, hat hohes Potenzial, sehr klare Ziele“ Der Kader? „Ist richtig gut. Ich kann es kaum abwarten, loszulegen.“
Neuer Sportdirektor war mit eingebunden
Mintzlaff und Tedesco hatten zum Wochenbeginn Einigkeit über einen Vertrag bis 2023 erzielt. Wie auch über das Trainerteam, das RB beim Heimspiel gegen Gladbach (Sonnabend, 15.30 Uhr) auf der Bank sitzen wird. Tedesco bringt mit Andreas Hinkel und Max Urwantschky zwei Co-Trainer mit. Marco Kurth bleibt im Trainerteam, Torwarttrainer Frederik Gößling ebenfalls.
Achim Beierlorzer, der RB beim 2:1 gegen Manchester City betreut hat, gehört dem neuen Kollektiv nicht mehr an. Falls Beierlorzer möchte, kann er in anderer Funktion im des Red-Bull-Fußball-Kosmos bleiben. Jesse Marsch hat ein ähnliches Angebot vorliegen.
Die wichtigste Position im Verein ist seit dem 9. Dezember, Punkt elf Uhr, neu und durchaus sinnvoll besetzt. Eine nicht minder wichtige Stelle ist noch vakant. Die des Sportdirektors. Laut Mintzlaff sei man sich mit Monsieur X einig. Es handelt sich offenbar um einen Mann, der noch anderweitig gebunden ist. War der RB-Sportdirektor in spe demnach überhaupt eingebunden in die Trainer-Suche? Ja, sagt Mintzlaff, man habe sich „ausgetauscht“.
"Trainer muss sich an den Kader anpassen"
Zurück zu Tedesco. Dass der nicht so gefeiert wurde/wird wie beispielsweise Julian Nagelsmann hat auch mit seiner zweiten Saison auf Schalke und der Entlassung im März 2019 zu tun. Dass Tedesco („Ich habe auf Schalke viel gelernt, viel mitgenommen“) dennoch ein gewiefter Ausnahmekönner ist, gilt in gut informierten Kreisen als ausgemacht. Mainz-Macher Christian Heidel kennt Tedesco aus Schalker Zeiten, ist überzeugt: „RB hätte keinen Besseren kriegen können, Domenico ist in jeder Hinsicht top.“ Tedesco übers Lob aus berufenem Mund: „Das freut mich, Christian ist mein früherer Chef und mittlerweile auch ein Freund. Er weiß, wie ich arbeite, wie ich mit der Mannschaft spreche.“
Der junge Mann, dessen fußballerisches Talent nach eigener Überzeugung nicht für eine Profi-Karriere gereicht hätte, spricht fünf Sprachen fließen, muss in den seltensten Fällen die verwässernde Relaisstation Dolmetscher nutzen. Und, ganz wichtig: Er ist keiner Spiel-Philosophie verhaftet, stülpt der Mannschaft nichts Unpassendes über. „Der Trainer muss sich an den Kader anpassen“, sagt Tedesco. Nicht umgekehrt.
Dass das Gros der RB-Profis den Ballbesitz-Fußball von Julian Nagelsmann mag und der Club insgesamt eine JN-Prägung mit sich trägt, ist dessen Nachnachfolger nicht entgangen. „Der Name Julian fällt sehr häufig, er ist hier in vielen Köpfen und Herzen, kann nicht viel falsch gemacht haben.“ Nein, er hat sich (noch) nicht mit seinem Fußball-Lehrer-Lehrgangskollegen von 2016 ausgetauscht. Und, gut zu wissen: Man habe „ähnliche Ansichten“. Na dann.