Leipzig. „Ich will die Schüler und Schülerinnen mit einem Dilemma konfrontieren“, beschreibt Kevin Seidel den Kern der Unterrichtsstunden. Der Sportwissenschaftler arbeitet an der Universität Leipzig im Bereich Sportpsychologie. Gemeinsam mit seinem Team und unter der Leitung von Professorin Anne-Marie Elbe arbeitet er an einem Projekt zum Thema Dopingprävention und informiert Nachwuchsathletinnen und -athleten über die Folgen der künstlichen Leistungssteigerung. Das Szenario: „Sie haben bereits viel Lebenszeit und Kraft in die sportliche Karriere investiert, aber dann winkt jemand mit einem Mittel zur Abkürzung. Auf diese Situation wollen wir die Jugendlichen in Zukunft vorbereiten und sie moralisch stärken, damit sie genau wissen, warum sie diese Abkürzung ablehnen und der Versuchung nicht nachgeben“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter den Hintergrund der „No2Doping“-Studie.
Unterrichtsstunden: Kern der Studie
Das Interesse der Schulen ist groß, doch das Timing könnte kaum schlechter sein. „Wir mussten durch Corona sowohl die Pilotphase als auch die Hauptstudie bereits unterbrechen“, führt Seidel weiter aus. Eigentlich hatte das Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik das Projekt bereits im Januar 2019 begonnen und auf drei Jahre angesetzt. Durch die immer wieder geschlossenen Schulen verschiebt sich der Zeitplan nun nach hinten. Wann Seidel für seine Unterrichtsstunden, die den Kern der Studie ausmachen, zurück in die Schulen kann, weiß er noch nicht.
„Die Idee ist grundsätzlich, den Schritt von einer informationsbasierten Aufklärung zu einem Konzept zu gelangen, dass auch Moral und Werte integriert“, beschreibt der Wissenschaftler seine Arbeit und führt aus: „Es gibt hier bereits einige Studien, die aufzeigen, auf welchen psychosozialen Variablen man Sportlerinnen und Sportler erreichen kann, um über Doping zu reden und einen Effekt zu erzielen."
Moralische Aspekte der Dopingprävention
Dafür spricht Seidel – wenn die Schulen denn offen hätten – mit den jungen Sporttreibenden in sechs Unterrichtsstunden. Einmal pro Woche werden gemeinsam Dilemmata diskutiert sowie die moralischen und ethischen Fragen des Dopings besprochen. Bevor es allerdings soweit ist, müssen alle Teilnehmenden einen Fragebogen ausfüllen. „Der Fragebogen behandelt Werte im Sport bezüglich Doping. Die Schülerinnen und Schüler sollen einordnen, wie sie zu dem Thema stehen. Nach den sechs Wochen Intervention wird der Bogen erneut verteilt“, erklärt der Sportwissenschaftler. Nach weiteren drei Monaten soll dann ein letztes Mal überprüft werden, ob eine Änderung in der Einstellung gegenüber Doping bei den Nachwuchsathletinnen und -athleten weiterhin zu verzeichnen ist.
Bisher werden in Deutschland durch die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) hauptsächlich Informationen über die medizinischen und juristischen Folgen des Dopings zur Prävention vermittelt. Durch die Studie der Universität Leipzig könnte sich das schon bald ändern, denn die NADA ist einer der Kooperationspartner im „No2Doping“-Projekt. Sollte die Studie die Wirksamkeit der moralischen Aspekte bei der Dopingprävention bestätigen, könnte die Aufklärung zu dem Thema in Zukunft mehr davon enthalten und hoffentlich mehr Sportlerinnen und Sportler von Dopingmethoden fernhalten.
Großes Interesse
„Ein wichtiger Teil der Schulstunden sind die Gespräche über antizipierte Schuld. Also ob ich mir dessen bewusst bin, was alles passiert, wenn ich mich auf das Doping einlasse. Wissen die Sportlerinnen und Sportler, was sie damit verursachen, wenn sie Dopen?“, hinterfragt Seidel. „Viele sagen, damit hätten sie nur sich selbst geschadet - aber das stimmt nicht. Indirekt nehmen auch viele Anderen davon Schaden. Zum Beispiel der Sportler, der deinetwegen nur auf dem 4. Platz gelandet ist. Hinzu kommen die eigenen moralischen Vorstellungen. Verkörpere ich überhaupt noch, wofür ich moralisch eigentlich stehen möchte?“, so der Wissenschaftler weiter.
Seine bisherigen Erfahrungen in den Schulstunden seien sehr positiv gewesen. Nicht nur die Schulen, sondern auch die Jugendlichen hätten großes Interesse am Unterricht. Das Ziel der Studie sind 200 Schülerinnen und Schüler, davon will sich Seidel auch von der Pandemie nicht abbringen lassen.
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