16. Januar 2021 / 19:40 Uhr

Olympiasiegerin Heike Henkel: "Das Gehirn trainiert mit"

Olympiasiegerin Heike Henkel: "Das Gehirn trainiert mit"

Jonas Freier
Hannoversche Allgemeine / Neue Presse
August 1992: Heike Henkel übersprang im olympischen Hochsprung-Finale von Barcelona 2,02 Meter und sicherte sich die Goldmedaille.
August 1992: Heike Henkel übersprang im olympischen Hochsprung-Finale von Barcelona 2,02 Meter und sicherte sich die Goldmedaille. © dpa/Archivfoto
Anzeige

Heike Henkel gelang Anfang der 90er-Jahre ein bislang einmaliger Hattrick: 1990 wurde sie Europameisterin, 1991 Weltmeisterin und 1992 Olympiasiegerin im Hochsprung. Im selben Jahr stellte sie mit 2,07 Metern auch noch einen Hallenweltrekord auf – bis heute deutscher Rekord. Im Interview erklärt die 56-Jährige, die als Mentalcoach arbeitet, wie sie Olympiasiegerin wurde und mit dieser Erfahrung Sportler im Corona-Lockdown motiviert.

Frau Henkel, bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul sind Sie als Medaillenkandidatin in der Qualifikation gescheitert, vier Jahre später in Barcelona Olympiasiegerin geworden. Eine Frage der Mentalität?

Anzeige

Auf jeden Fall. Ich bin mit der Vorstellung nach Südkorea gereist, dass es so sein würde wie 1984 in Los Angeles bei meinen ersten Olympischen Spielen – das war ein ganz tolles Erlebnis, ich war noch ganz jung und unbedarft. Und auf einmal waren die Bedingungen 1988 ganz andere, wie das so ist im Leben. Darauf war ich nicht vorbereitet.

Sportlerpaar: Heike Henkel ist mit Ex-Zehnkämpfer Paul Meier verheiratet.
Sportlerpaar: Heike Henkel ist mit Ex-Zehnkämpfer Paul Meier verheiratet. © imago images/Future Image

Was war los?

Erst mal war ich total schockiert, dass im Stadion kaum Zuschauer waren, dann haben die ihr Frühstück ausgepackt und damit für mich ein bisschen ihr Desinteresse signalisiert. Zu allem Überfluss ragte ein Kabel aus der Erde mitten in meinem Anlauf, den musste ich umlegen. Dann stimmt natürlich der Rhythmus nicht mehr – und dann stimmt auch der Rhythmus im Kopf nicht mehr. So kam es, dass ich dreimal die Qualifikationshöhe gerissen habe. Das war meine größte Niederlage in meiner sportlichen Karriere. Was im Nachhinein aber gar nicht schlecht war.

Anzeige

Weil …

... ich daraus sehr viel über mich selbst gelernt habe. Dazu ist es wichtig, dass man erst mal die Fehler erkennt, die man selber macht, also Verantwortung dafür übernimmt. Natürlich waren die Bedingungen nicht optimal, daran hätte ich aber nichts ändern können. Aber ich hätte an meiner inneren Haltung etwas ändern können. Doch darauf war ich nicht vorbereitet. Aber man kann das ändern – das kann jeder.

Heike Henkel, Olympiasiegerin 1992 im Hochsprung, mit ihrer Goldmedaille.
Heike Henkel, Olympiasiegerin 1992 im Hochsprung, mit ihrer Goldmedaille. © imago images/WEREK

Haben Sie das selbst erkannt – oder mithilfe eines Mentaltrainers?

Eigentlich habe ich das für mich selbst erkannt. Ich habe in Seoul, noch auf den Koffern sitzend, beschlossen: Das passiert mir kein zweites Mal. Sportpsychologen waren damals noch nicht so verbreitet. Das fing erst so in den 90er-Jahren an, als die Olympiastützpunkte aufgebaut wurden. Auf die Idee, einen Sportpsychologen zurate zu ziehen, bin ich auch gar nicht gekommen, weil das damals so war, dass es bei Sportlern auch ein bisschen Schwäche darstellt. Was natürlich totaler Quatsch ist. Das kann einen unheimlich weiterbringen und Erfahrungen ersparen, die nicht unbedingt nützlich sind.

Was ist zwischen 1988 und 1992 konkret passiert?

Mein Naturell ist sowieso, dass ich nicht so schnell aufgebe. Ich wusste, was ich schon erreicht hatte. Das waren damals 1,98 Meter, eine ordentliche Höhe. Mein nächstes Ziel waren die zwei Meter – und das klappte dann auch 1989. Vorher habe ich mich mehr wie eine kleine Athletin gefühlt, aber dann gemerkt, dass in mir viel mehr Potenzial steckt. Das kam dann auch durch meinen damaligen Mann (Rainer Henkel, d. Red.), der schon Doppelweltmeister im Schwimmen war. Für mich war er ein ganz normaler Typ, da habe ich mir gesagt: Was der kann, das kann ich schon lange. Rainer hat mich bestärkt. Das Selbstbewusstsein wird auch dadurch gesteigert, dass man die Nähe zu erfolgreichen Sportlern sucht. Ich habe mich auch mit Ulrike Meyfarth beschäftigt (Olympiasiegerin im Hochsprung 1972 und 1984, d. Red.), beobachtet, wie sie sich im Wettkampf verhalten hat.


Wie haben Sie gemerkt, dass es Ihnen liegt, andere zu motivieren?

Talente gibt es viele. Ich habe mal meine Geschichte aufgeschrieben – und dabei ist mir bewusst geworden, dass meine mentale Stärke dazu geführt hat, dass ich diese Erfolge feiern konnte. Ich habe gedacht, das muss ich weitergeben. Ich habe dann die Ausbildung zum Mentaltrainer gemacht. Dieses Training ist sehr wichtig und zwar sportartübergreifend, weil die mentale Stärke einen hohen Prozentsatz des Erfolgs ausmacht. Letztendlich sind viele der Spitzenathleten auf dem gleichen Leistungsniveau, daher geht es am Ende darum, wer im Kopf stärker ist.

Zuletzt haben Sie niedersächsische Nachwuchsschwimmer aus dem Landeskader online geschult.

Die sind ja ewig nicht im Becken gewesen. Die müssen ja aufgebaut werden, damit sie nicht abspringen. Das war jetzt ein neuer Anschub, aber auch nur ein Anfang.

Welche Profitipps können Sie geben?

Die Sportler dürfen natürlich die Zuversicht nicht verlieren, dass es irgendwann auch mal wieder anders wird. Sie brauchen aber auch Eltern und Trainer als Unterstützer. Und sie müssen sich zwischendurch mit den anderen Athleten austauschen, vielleicht verrückte Ideen entwickeln wie die ein oder andere Challenge. Ich rate auch immer, sich Videos von verschiedenen Sportarten anzuschauen. Man kann turnen oder schwimmen gehen, ohne auf der Matte zu sein oder ins Becken zu springen. Das Gehirn trainiert mit.

Mehr Berichte aus der Region

Und das macht alleine Spaß?

Motivation funktioniert langfristig nur aus einem selbst heraus. Selber Verantwortung übernehmen, sich nicht nur auf den Trainer verlassen – das ist die beste Voraussetzung für den weiteren Weg. Einfach in Bewegung bleiben – mit Bildern, mit Vorbildern. Der Schwimmer Michael Phelps ist ein tolles Vorbild für Bewegungsabläufe. Je häufiger man sich das anschaut, desto häufiger speichert das Gehirn das ab. Ich bin vor meinen Sprüngen den Ablauf auch im Kopf noch einmal durchgegangen.

Glauben Sie, dass Corona dafür sorgt, dass eine ganze Generation an Sportlern verloren geht?

Man verliert Zuversicht und Selbstvertrauen, weil man in Wettkämpfen gar nicht sehen kann: Wo stehe ich eigentlich? Ich glaube schon, dass wir einige verlieren werden. Man muss da wirklich Anstrengungen unternehmen – gerade bei den jungen Athleten. Es wird sehr viel für den Hochleistungssport getan, aber der Nachwuchs wird viel zu wenig betreut. Ich finde, man muss sich richtig bemühen, gerade um Jugendliche, die in der Pubertät sind. Da kommt viel zu wenig mentales Training zum Einsatz. Das finde ich sehr sehr schade.

Gibt es Lösungsvorschläge?

Man kann eine ganze Menge an Sportarten machen – gerade bei den Work-outs. Die Eltern dürfen da auch gerne mal mitmachen. Einfach als Unterstützung. Ich begleite meine Tochter auch mal mit dem Fahrrad bei Läufen. Wenn sich keiner interessiert und keiner nachfragt, dann fragen die sich irgendwann: Wofür mach ich das eigentlich?

Anzeige: Erlebe die gesamte Bundesliga mit WOW und DAZN zum Vorteilspreis