Leipzig. Fußball im Fernsehen oder doch lieber im Stadion? Fans würden sich wohl immer für das unmittelbare Erlebnis im Stadion entscheiden. Aber was tun, wenn ausgerechnet das aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen ausgeschlossen ist? Schwenkt man dann doch auf das TV um? Oder ist durch die Pandemie und ihre Begleiterscheinungen das Geschehen in den Profi-Ligen so weit in die Ferne gerückt und so unnahbar geworden, dass das Interesse verloren geht? Für zahlreiche Anhänger von RB Leipzig, die ihre Roten Bullen nun schon seit mehr als einem Jahr nicht auf den Rängen unterstützen können, ist das Sky-Abo eine gute Alternative. Aber es gibt auch die, die ganz bewusst verzichten.
„Fankultur im Fußball kann man nicht vergleichen“
Einer von ihnen ist Dirk Rackwitz, Vorstandsmitglied beim OFC Sportfreunde Leipzig. Er hat in der laufenden Saison nur ein Spiel geschaut. Denn für ihn steht nicht die Sportart im Vordergrund, sondern das ganze Erlebnis um ein Fußballspiel herum. „Ich habe im Laufe der Zeit einfach gemerkt, dass es für mich spannendere Sportarten gibt als Fußball. Aber als Fan ist man ja involviert, das macht das Spiel auch attraktiver. Ich schaue auch, wenn ich im Stadion bin, nicht 90 Minuten lang auf die Spieler, außer die Begegnung entwickelt sich in diese Richtung“, erklärt er.



Es ist aber nicht so, dass Rackwitz grundsätzlich keinen Fußball im Fernsehen schaut. Wenn er in den vergangenen Jahren zu einem Auswärtsspiel nicht mitfahren konnte, setzte auch er sich vor die Flimmerkiste. „Wenn Fans im Stadion sind, schaue ich auch die Spiele im TV. Da kommt zumindest die Atmosphäre etwas hoch. Derzeit wurde dem Fußball ja genau das genommen, was ihn von anderen Sportarten unterscheidet. Die Fankultur im Fußball kann man nicht mit der anderer Sportarten vergleichen.“ Basketball könne er sich beispielsweise ganz ohne Probleme auch ohne Fans anschauen. „Es hört sich ohne die Unterstützer im Stadion manchmal an, als wäre man bei einem Spiel der Ü50-Herren in der Kreisklasse am Freitagabend.“ Zwar habe man in der Zwischenzeit die Option im Fernsehen eine Tonspur mit Fangesang auszuwählen, aber: „Das ist für mich kein Ersatz“, sagt Rackwitz.
„Es bringt Pech, wenn ich mir das Spiel anschaue“
Für ihn machen Fans und Atmosphäre den Fußball zum Erlebnis. „Ich komme aus dem Haus, treffe Leute, mache etwas, das mir viel Freude bereitet.“ Im Wohnzimmer habe er das nicht. Deshalb mache er es auch nicht. Sein Interesse am Spiel habe sich zwar nicht komplett verflüchtigt – er schaue ab und an in den Liveticker rein oder überprüfe am Abend die Ergebnisse. Dennoch verspüre er nicht das Bedürfnis, die Spiele live zu verfolgen. „Ob ich das Spiel sehe oder nicht, macht keinen Unterschied. Sie spielen es ja trotzdem.“
Für Thomas Lehmann, 1. Vorsitzender der Sportfreunde, ist das absolut nicht nachvollziehbar. Für ihn spielt die Nagelsmann-Elf nur gut, "wenn ich das richtige T-Shirt trage und meinen Glücksbringer in der Hand habe.“ Als Fußballfan werde man schließlich auch ein bisschen abergläubisch. „Rational verstehe ich ja, dass das Spiel dennoch stattfindet. Aber ein gewisser emotionaler Aberglauben gehört dazu“, so Lehmann.
Er erinnert sich: „Als RB das Gruppenspiel gegen Paris Saint-Germain spielte, bin ich verspätet von der Arbeit gekommen und habe den Anpfiff verpasst. Als ich den Fernseher angeschaltet habe, fiel das 1:0 für Paris. Deshalb dachte ich, dass es Pech bringt, wenn ich mir das Spiel anschaue.“ Er sei dann auf seine Terrasse gegangen, habe sich den Bullenfunk angehört und schaute nicht zu, obwohl im Wohnzimmer das Spiel lief. „Dann fiel das 1:1 und ich dachte, es bringt Glück, wenn ich draußen bleibe. Deshalb saß ich auch bis zur 90. Minute auf der Terrasse.“ Es war der 4. November. Die Roten Bullen gewannen 2:1.
„Wusste nicht, was ich mit mir selbst anfangen soll“
Beim Fußball im Fernsehen fiebert er genauso mit wie im Stadion auf den Rängen. „Ich habe die Bundesliga auch schon verfolgt, als ich noch nicht in meiner Stadt ins Stadion gehen konnte, um ein Spiel zu sehen.“ Den Fußball und den Verein, den er unterstützt, könne er nicht ausblenden. „Wenn wir spielen, muss ich mir das Spiel anschauen. Ich könnte nicht die Zeit, in der RB Leipzig ein Spiel bestreitet, entspannt mit anderen Dingen verbringen.“
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Zwar erinnert sich auch OFC-Kollege Dirk Rackwitz an eine Zeit, in der er überwiegend mit seinem Vater Partien im Fernsehen verfolgt hat – „Und zwar über Teletext, weil wir am Anfang noch kein Premiere hatten.“ – und sich auch Übertragungen im Radio angehört hat. Diesen Stellenwert haben die Übertragungen für ihn längst nicht mehr. Für Thomas Lehmann ist der Fußballnachmittag hingegen unverzichtbar: „Im ersten Lockdown im März 2020, als die Saison unterbrochen wurde und mehrere Wochen keine Bundesliga lief, wusste ich nicht, was ich mit mir selbst anfangen sollte. Normalerweise bin ich samstags ab 15.30 Uhr nicht mehr ansprechbar, ich bin dann im Tunnel.“
Und obwohl auch für Lehmann das Stadionerlebnis unersetzbar ist, kann er sich auf den Rängen nicht immer voll auf den Sport konzentrieren. „Ich bin schon Stunden vorher aufgeregt. Im Stadion ist das nicht unbedingt stärker als vor dem Fernseher. Schließlich kann man das Spiel als solches im TV besser verfolgen.“ Den Fußball verfolgt er schließlich um des Fußballs Willen.
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