Diese tropische Hitze. Die Temperaturen, die Havanna fest im Schwitzkasten hielten, setzten Emanuel Lasker schwer zu, sie weichten den Siegeswillen auf, den sein Widersacher auf der anderen Seite des schwarz-weißen Spielfeldes zusätzlich mit unermüdlichen Attacken zermürbte. Nach 14 Partien, in denen das deutsche Schachgenie zehn Unentschieden erkämpfte und vier Niederlagen hinnehmen musste, beendete Emanuel Lasker schließlich durch Aufgabe den Kampf um den WM-Titel im Frühjahr 1921 in Havanna. Am 28. April 1921, nach 27 Jahren auf dem Thron der Schachwelt, gab der damals 52 Jahre alte Emanuel Lasker, der in Thyrow im heutigen Landkreis Teltow-Fläming ein Sommerhaus besaß, das Zepter weiter an José Raúl Capablanca, den dritten Weltmeister der Schachgeschichte.
In einem Bericht mit dem Titel „Mein Wettkampf mit Capablanca“ schreibt Emanuel Lasker über die elfte Partie: „Wiederum ist eine Woche vergangen, in der Capablanca seine Gewinnzähler vermehrt hat. Diesmal durch eine Partie, die seinen Stil in sehr gutem Lichte zeigt: Kräftig, dabei vorsichtig; feste Stellungen suchend, aus denen man leicht zum Angriff vorbrechen kann. Auch ich spielte sie nicht schlecht, außer den letzten Teil. Da versagte ich, vermutlich der Wirkung des Klimas erliegend. Womit ich aber Capablancas Verdienst nicht schmälern will, denn er stellte mir Probleme von der Schwierigkeit, die genügte, um den Ermüdeten vollends zu erschlaffen – und mehr konnte er aus der Stellung nicht herausholen.“
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Eine Ära wie Laskers knapp drei Jahrzehnte andauernde Zeit als Titelträger – eine Langzeit-Dominanz, wie es sie im Sport ohnehin kaum gibt, weil in anderen Sportarten die Physis eine derartig lange Amtszeit kaum zulässt – hatte es später nicht mehr gegeben. „Dass Emanuel Lasker so lange an der Spitze stand, sagt eigentlich alles. Das ist einmalig und ein ganz besonderes Kapitel der Schachgeschichte“, sagt Thomas Weischede, der Vorsitzende der Emanuel-Lasker-Gesellschaft (ELG).
„Eine seiner großen Stärken war es, den optimalen Zug für die jeweilige Stellung zu finden. Laskers Erfolgsgeheimnis war sicher, dass er sich keinem Dogma unterwarf, sondern einen flexiblen, pragmatischen und effektiven Spielstil hatte. Capablanca war ihm darin ebenbürtig. 1921, nach dem verlorenen Weltkrieg und dem Verlust eines Großteils seines Vermögens, war Lasker diesem Gegner – noch dazu im heißen Havanna – nicht gewachsen und verlor für seine Verhältnisse fast kampflos. Aus welchen Gründen auch immer, konnte er 1921 seine hohe Kampfbereitschaft nicht abrufen.“



Kurz danach war dies jedoch schon wieder anders. „1924 beim Weltklasseturnier in New York triumphierte schon wieder Lasker vor Capablanca und Aljechin, der 1927 Capablanca entthronte“, berichtet Thomas Weischede von der ELG. Zu den Mitgliedern der Gesellschaft gehören nach Angaben der Gesellschaft auch Schach-Superstars wie Garri Kasparow und Anatoli Karpov – Laskers Nachfolger als Weltmeister.
In der Zeit, als der tropische Härtetest in Havanna das Ende seiner Amtszeit als Weltmeister zur Folge hatte, zog es Emanuel Lasker in den heutigen Landkreis Teltow-Fläming: 1921 hatte der jüdische Mathematiker und Philosoph ein Sommerhaus in Thyrow mit einer sehr modernen Architektur bauen lassen und dort einige seiner Schriften verfasst. 1928 wurden Teile des Hauses bei einem Brand zerstört. Versuche, das zunehmend verfallende Gebäude zu erhalten, scheiterten, bis das baufällige Objekt schließlich abgerissen wurde.
Emanuel Lasker setzte Maßstäbe als Schachpublizist
Den Weltmeister-Titel konnte Emanuel Lasker nicht mehr zurückerobern, setzte aber als Publizist Maßstäbe: 1925 erschien sein „Lehrbuch des Schachspiels“. Das Buch enthält zahlreiche philosophische Exkurse und zählt heute zu den Klassikern der Schachliteratur – der große Stratege dürfte auch in Thyrow an diesem Werk gearbeitet haben. „Emanuel Lasker war einer der Vordenker des Übergangs vom romantischen zum wissenschaftlichen Schach, das ist historisch gesehen einer seiner großen Verdienste. In einer Zeit, in der ohnehin sehr viel in Bewegung war durch den wissenschaftlichen Fortschritt, schaffte er es auch, das Schachspiel philosophisch als Kampf des Geistes und Schule des Denkens in die moderne und aufgeklärte Gesellschaft einzuordnen“, schätzt Thomas Weischede ein.
1933, nach der Machtübernahme durch die Nazis, emigrierte Emanuel Lasker aus Deutschland. Nach Aufenthalten in den Niederlanden, England und Russland siedelte er schließlich in die USA über. Am 11. Januar 1941 verstarb er im Alter von 72 Jahren in New York. Auch in Deutschland gehört Emanuel Laskers zur Riege der ganz großen Persönlichkeiten – 2008 wurde er in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen.
Gut möglich, dass in Thyrow im Jahr des 80. Todestages und 100 Jahre, nachdem der einzige deutsche Schachweltmeister in die Gemeinde gezogen war, noch einmal mit einer Aktion an das große Universalgenie gedacht wird. „Wir haben dazu coronabedingt noch nicht getagt“, sagt Gertrud Klatt (CDU), die Thyrower Ortsvorsteherin, „aber wir werden uns dazu sicher noch beraten.“
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