Die ganze Unwucht in der Kaderplanung des Bundesliga-Letzten Schalke 04 lässt sich gut an Soichiro Kozuki illustrieren, den Trainer Thomas Reis in der vergangenen Woche als "Lichtblick" inmitten finsterer Wintertage bezeichnete. Der 22 Jahre alte Japaner wurde vor der Saison vom 1. FC Düren aus der Oberliga nach Gelsenkirchen geholt und war dort vor der Winterpause in der U23 im Einsatz. Nun sind im neuen Jahr zwei Partien absolviert, S04 hat keinen Punkt erspielt, neun Tore kassiert – und Kozuki hat die traurigen Herzen der Fans nicht nur ein wenig erwärmt, sondern auch eine Frage aufgeworfen: Warum spielt dieser Stürmer erst jetzt?
Reis weiß verständlicherweise keine Antwort, er kam ja erst zwei Wochen vor der Winterpause. Aber am Beispiel von Kozuki zeigt sich, wie fehlerhaft bislang in dieser Saison gearbeitet wurde. Diese ganz und gar unfertige Mannschaft befindet sich vor dem Rückrundenauftakt am Sonntag gegen den 1. FC Köln (17.30 Uhr, DAZN) abgeschlagen auf dem letzten Platz, weil die Kaderplanung des vergangenen Sommers nicht nur von Fehleinschätzungen geprägt ist, sondern auch von einer zweifelhaften Grundkonzeption. Beides habe gefehlt, sagte Kapitän Danny Latza, als er nach dem 1:6 gegen RB Leipzig am Dienstag gefragt wurde, ob es eher an der Einstellung oder an der Qualität gemangelt habe.
Diese erste Bundesliga-Saison nach dem Aufstieg und personellen Umbrüchen in Aufsichtsrat, Vorstand sowie sportlicher Leitung erscheint mehr und mehr wie ein strategischer Fehlgriff. Der Anfang November entlassene Frank Kramer war zwar ein günstiger, aber kein passender Trainer, Torwart Alexander Schwolow ist ein Unsicherheitsfaktor, der Innenverteidigung fehlt Tempo. Viel zu viele Spieler sind verletzungsanfällig, verkaufte Spieler wie Malik Thiaw würden jetzt dringend gebraucht.
Schalke: Zweites Transfermarkt-Wunder blieb aus
Der Klub ist offensichtlich Opfer einer Strategie, die man entweder als Zwang der Vernunft oder aber als Weg der mangelnden Risikobereitschaft bezeichnen kann. Von Anfang an haben die Finanzchefin Christina Rühl-Hamers, der Vorstandschef Bernd Schröder und der Aufsichtsrat einen abermaligen Abstieg einkalkuliert und vor dem Hintergrund solcher Überlegungen eine sehr defensive Investitionsstrategie beschlossen. Schröder entgegnet, dieser Weg sei alternativlos, denn der Vorsatz, "die Existenz des Vereins sicherzustellen", zwinge die Verantwortlichen des mit 180 Millionen Euro verschuldeten Vereins dazu, "nicht blind die Zukunft zu verkaufen". In ihrer Not wurde womöglich gehofft, Rouven Schröder würde ein zweites Transfermarkt-Wunder gelingen.
Der mittlerweile zurückgetretene Sportdirektor hatte nach dem Abstieg 2021 in einer wirtschaftlich ähnlich prekären Situation praktisch aus dem Nichts einen Kader geformt, der umgehend wieder aufstieg. Statt dieses Team im Kern beisammenzuhalten und punktuell zu verstärken, folgte der nächste Umbruch. Rechnet man die fünf Millionen Euro ein, die der Verkauf des schon zuvor verliehenen Amine Harit nach Marseille einbrachte, nahmen die Schalker nach dem Aufstieg für Transfers und Leihgeschäfte etwa 25 Millionen Euro ein und investierten weniger als zehn Millionen Euro in Ablösesummen und Leihgebühren für neue Spieler. Man müsse "immer abwägen, was eine große Risikobereitschaft auch für ein Worst-Case-Szenario bedeuten kann", lautet Schröders Erklärung für diese sparsame Herangehensweise. Nun nimmt dieser Worst Case immer konkretere Formen an.
Denn der von Leihspielern geprägte Kader wirkt auch nach genau der Hälfte der Saison wie eine sehr chaotische Transfermarkt-Improvisation. Im Winter wurde das Bundesliga-Team neben dem aus der U23 beförderten Kozuki noch mit Tim Skarke (Union Berlin), Jere Uronen (Stade Brest), Niklas Tauer (Mainz 05), Michael Frey (Royal Antwerpen) und Moritz Jenz (FC Lorient) verstärkt – so viele Leihgeschäfte wirken ziemlich panisch. Und auch Reis’ Urteil nach dem schwer erklärbaren Zusammenbruch gegen Leipzig am Dienstag (1:6), der auf eine bessere Darbietung in Frankfurt (0:3) gefolgt war, klingt eher skeptisch: "Mit solch einer Leistung hast du in der Bundesliga nichts verloren." Womöglich ist der ganze Verein in seinem gegenwärtigen Zustand fehl am Platz auf diesem Niveau.
Anzeige: Erlebe die gesamte Bundesliga mit WOW und DAZN zum Vorteilspreis