Schon im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Katar hat sich der ehemalige Augsburger und Schalker Bundesliga-Trainer Manuel Baum intensiv mit den beim Turnier im Wüstenemirat antretenden Mannschaften auseinandergesetzt. Mit einem insgesamt neunköpfigen Team von Analysten beleuchtet der 43-Jährige die taktischen Kniffe der WM-Teilnehmer aus allen erdenklichen Blickwinkeln. Beim SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), erklärt er, was die Teams ausmacht, wo es haken könnte und worauf man achten sollte. Abschließend sagt Baum ein mögliches Spielszenario voraus. In der letzten Episode blickt er auf das Endspiel zwischen Argentinien und Frankreich am Sonntag (16 Uhr/ARD und MagentaTV).
Manuel Baum, ehemaliger Bundesliga-Trainer, ist während der WM für Magenta TV als Analyst und Kommentator aktiv. Magenta TV zeigt alle WM-Spiele live [Anzeige].
Argentinien
Argentinien war beim 3:0 gegen Kroatien die taktisch bessere Mannschaft. Im 4-4-2 gegen den Ball haben sie im Mittelfeldpressing das Spiel der Kroaten durchs Zentrum weitestgehend unterbinden können. Wenn Kroatien, meist über links, durchkam, verteidigten die Argentinier sehr konsequent die Box. Die durchschnittliche Schussdistanz von Kroatien betrug sehr weite 24,1 Meter und Argentinien ließ nur zwei Schüsse auf das eigene Tor zu. Ballgewinne versuchte Argentinien im Pressing auf den ungefährlicheren Flügeln zu erzwingen, wobei sie nach Ballgewinnen ihren Schwerpunkt auf die Ballsicherung legten und nicht in risikoreiche schnelle Konter gingen.
In Ballbesitz im 4-3-3 bauten sie die meisten Angriffe durch das Zentrum über Paredes, Fernández und De Paul auf, die sich häufig in die Linie zwischen Innenverteidiger und Außenverteidiger fallen ließen und dabei die Außenverteidiger sehr hoch geschoben haben. Profitiert haben die Argentinier von einem Stellungsfehler der Kroaten, aus dem das 1:0 durch einen Elfmeter von Messi resultierte. Die Vorentscheidung fiel durch einen Umschaltmoment nach Ecke Kroatiens, den Alvarez nach einem schnellen Konter kurz vor der Pause zum 2:0 abschloss. Ab der 61. Minute stellte Coach Solari auf 5-3-2 um und erzeugte noch mehr Kompaktheit im Zentrum. Auffällig ist die Effizienz der Argentinier in der Nutzung ihrer Chancen besonders im Strafraum (83%), was auch beim 3:0 durch Alvarez deutlich wurde.
Zusammenfassend: Guter Torwart, absolute defensive Kompaktheit im Zentrum, kaum Umschaltspiel, Ballsicherung im Vordergrund, Messi in Topform.
Frankreich
Die Franzosen setzten sich in einem packenden Duell gegen Marokko durch. Dabei half ein frühes Tor in der 5. Minute durch den aufgerückten Hernandez, der eine Abwehrschwäche Marokkos ausnutzen konnte. Trainer Deschamps spielte im gewohnten 4-2-3-1, bot aber mit Fofana einen weiteren eher defensiveren Mittelfeldspieler vor der Abwehr auf. Die Franzosen agierten noch passiver als in den vorigen Spielen und kamen auf eine reine Ballbesitzzeit von 22 Minuten im gesamten Spiel und auch nur in kurze Ballbesitzphasen, in denen sie ihre Umschaltmomente auszuspielen versuchten.
Im Spiel gegen den Ball im tiefen Mittelfeld-/Abwehrpressing attackierte Giroud in Manndeckung das Aufbauspiel von Amrabat und Griezmann schloss das Zentrum nach hinten. Die defensiven Mittelfeldspieler Fofana und Tchouameni erzeugten eine hohe Kompaktheit und eroberten überdurchschnittlich viele zentrale Bälle (elf bzw. zwölf). Ausgenommen von der defensiven Arbeit war Mbappé, der an der Mittellinie auf Umschaltmomente nach Balleroberungen wartete, aber von Hakimi weitestgehend neutralisiert wurde. Nach den Hereinnahmen von Thuram (für Giroud) und Kolo Muani (für Dembelé) spielte Mbappé zentraler und sorgte sofort für mehr Torgefahr, wie beim 2:0, wo er die halbe Abwehr umkurvte und Kolo Muani zum Endstand traf.
Zusammenfassend: Beherrschen alle Spielphasen, nervenstark, erfahren, jederzeit gefährlich durch verschiedene Torschützen.
Mögliches Spielszenario:
Argentinien besitzt eine hohe taktische Anpassungsfähigkeit und die Spieler sind in der Lage, ihre individuellen Qualitäten in jeder Grundordnung abzurufen. Trainer Scaloni steht vor der Frage, ob er mit Vierer oder Fünferkette gegen die schnellen französischen Spieler verteidigen wird. Links hinten könnte Acuña wieder ins Team rücken und für offensiven Druck auf der Seite sorgen. Grundsätzlich wird Argentinien bei Ballverlusten eine gute Restverteidigung benötigen, um das Zentrum schnell zu schließen. Auffällig ist die aggressive Zweikampfführung aller Spieler gegen den Ball. Besonders im Zentrum schaffen sie es, das gegnerische Spiel damit konsequent zu bekämpfen. Offensiv ruhen wie immer die Hoffnungen auf einem Geniestreich von Messi, der sich im Halbraum vor der französischen Kette bewegen wird.
Frankreich hat das Selbstbewusstsein, über längere Zeiträume tief zu verteidigen und dann die offenen Räume des Gegners zu nutzen. Sie zeigen in der Verteidigung eine gute und kompakte Struktur und schaffen es, die Box in zwei Ebenen häufig mit 3+3 Spielern zu verteidigen. Dies führt dazu, dass sie sehr stark sind, was das Blocken von Schüssen des Gegners angeht. Das wird besonders gegen Messi zu tragen kommen. Coach Deschamps hat im Mittelfeld die defensive Option mit Fofana, wenn er Messi stärker neutralisieren will oder mit dem Box-to-Box-Spieler Rabiot, der stark im Umschaltspiel und bei Kopfbällen ist.
Zentrale Duelle: linke franz. Seite - Messi, Mbappé - Molina, Griezmann - Paredes.
Unser Tipp: Sehr enges Spiel zweier Topteams. Ein Geniestreich kann das Spiel entscheiden. Leichter Vorteil Frankreich.
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