04. Mai 2023 / 18:29 Uhr

Euphorie und Genugtuung bei der SSC Neapel: Wie die Stadt schon vor der Meisterschaft Kopf steht

Euphorie und Genugtuung bei der SSC Neapel: Wie die Stadt schon vor der Meisterschaft Kopf steht

Dominik Straub
RedaktionsNetzwerk Deutschland
Die SSC Neapel steht kurz vor dem dritten Meistertitel der Klub-Geschichte.
Die SSC Neapel steht kurz vor dem dritten Meistertitel der Klub-Geschichte. © IMAGO/Marco Canoniero/NurPhoto (Montage)
Anzeige

Die SSC Neapel steht kurz vor dem Gewinn der Meisterschaft in der Serie A. Die Stadt steht schon vor der endgültigen Entscheidung im Titelrennen Kopf. Der SPORTBUZZER skizziert die Stimmungslage in der italienischen Hafenstadt.

Abergläubisch zu sein möge ein Zeichen von Rückständigkeit sein, räumen die Tifosi in Neapel ein. Nicht abergläubisch zu sein bringe Unglück. Und deshalb hat man lange keinen neapolitanischen Tifoso gefunden, der gesagt hätte, die Meisterschaft der Serie A sei entschieden. Doch seit dem 1:0-Sieg vor zehn Tagen bei Juventus Turin ist dies anders. "Die Sache ist gelaufen", strahlt der Barkeeper der Bar Nilo, Gennaro D’Andolfo. Die SSC Neapel führt das Klassement sechs Partien vor Saisonende mit 15 Punkten Vorsprung auf Lazio Rom an – bei einem Spiel weniger als der ärgste Verfolger.

Anzeige

Nach dem Sieg der Hauptstädter am Mittwochabend gegen Sassuolo Calcio (2:0) reicht Napoli am Donnerstag (20.45 Uhr, DAZN) bei Udinese Calcio ein Punkt, um erstmals seit 1990 den Titel zu holen.

Die Hafenstadt am Fuß des Vesuv ist hoffnungsvoll euphorisch. Von Balkonen und Wäscheleinen hängen Fahnen und Transparente in den Vereinsfarben. Überall lauern Straßenhändler mit Fanartikeln. Im Herzen der Stadt stehen mannsgroße Pappfiguren der Spieler und des Trainers Luciano Spalletti. Auf Plakaten prangt "Napoli – Campione d’Italia 2022/2023" oder nur die Ziffer drei: weil es der dritte "Scudetto", der dritte Gewinn der Meisterschaft, in der Vereinsgeschichte wäre.

Neapel als Underdog kurz vor der Krönung

Fußball ist in Italien eine Ersatzreligion – in Neapel hat der "Calcio" eine zusätzliche Bedeutung: Ein Meistertitel wäre ein Triumph des armen Südens über den arroganten Norden. Juventus Turin und die Mailänder Vereine AC und Inter machen den "Scudetto" in der Regel unter sich aus – der bislang letzte Klub, der diese Konstellation aufbrechen konnte, war die AS Rom 2001. Als Neapel im Jahr 1990 den Titel holte, verspotteten die Norditaliener die Mannschaft als "afrikanischen Meister". Das hat man im Süden nicht vergessen.

Anzeige

"Wir Neapolitaner und unsere Stadt werden vom Norden herabgewürdigt und diskriminiert, schon immer", sagt Paolo Esposito. "Der 'Scudetto' ist deshalb eine enorme Genugtuung für alle Demütigungen und Beleidigungen." Der 37-Jährige lebt im Altstadtviertel Forcella und hält sich mit dem Verkauf von geschmuggelten Zigaretten über Wasser; das Paket kostet bei ihm zwei Euro. Forcella, das als Hochburg der Camorra gilt, hat einen Aufschwung erlebt. Dennoch bleibt das Viertel ärmlich wie viele Quartiere der Stadt. Das Durchschnittseinkommen liegt in Neapel bei 14 .000 Euro jährlich, in Mailand bei 34 .000 Euro.

Meister war Napoli 1987 und 1990 geworden – mit Diego Armando Maradona. Der Argentinier wird in Neapel verehrt wie ein Heiliger, in der Bar Nilo gibt es sogar einen Maradona-Altar mit Reliquie: In einem Plastikwürfel befindet sich eine Haarlocke Maradonas. Denn der habe "in Neapel den gleichen Status wie der offizielle Stadtheilige San Gennaro", sagt Barkeeper D’Andolfo. Nach seinem ersten Meistertitel sagte Maradona: "Ich habe nicht für Neapel und Argentinien gewonnen. Ich habe für diejenigen gewonnen, die sonst nie gewinnen."

SSC Neapel: Bei Meistertitel "drehen hier alle durch"

Der geniale, zugleich selbstzerstörerische Maradona und die schöne, zugleich chaotische Stadt waren eine Symbiose eingegangen, im Guten wie im Schlechten. Der Argentinier pflegte eine gefährliche Nähe zur Camorra, die ihn mit Kokain und Prostituierten versorgte; außer den Meistertiteln hinterließ er einen unehelichen Sohn, Diego Armando Junior, sowie Steuerschulden. Aber wenn es eine Stadt gibt, die solche Sünden vergibt, dann Neapel. Als Maradona 2020 starb, hat der damalige Stadtpräsident das heimische Stadion in "Stadio Maradona" umbenannt.

Gegen Maradonas Popularität sind die heutigen Stars chancenlos. Das Team spielt Offensivfußball, die Technik und Durchschlagskraft der Schlüsselspieler Victor Osimhen (Nigeria) – früher Profi beim VfL Wolfsburg – und Khvicha Kvaratskhelia (Georgien) hat selbst Fachleute überrascht. Für eine Heiligenverehrung wie im Fall Maradonas reicht das aber noch nicht.

Dennoch erwartet Neapel eine Party, wie sie die Stadt noch nicht einmal bei den Meisterfeiern 1990 erlebt hatte. "Die Stadt wird vor Freude explodieren wie der Vesuv", prophezeit Barkeeper D’Andolfo. Die Behörden rechnen mit bis zu drei Millionen Tifosi, zwölf Feldlazarette werden bereitgestellt. Und wenn der Meistertitel fest steht, dann "drehen hier alle durch", sagt SSC-Präsident Aurelio De Laurentiis.

Anzeige: Erlebe das Champions-League-Finale zwischen Manchester City und Inter Mailand auf DAZN und fiebere live mit!