Bratislava/Leipzig. Vier Olympiamedaillen bei nur vier Startern in vier Wettbewerben: Im Kanuslalom-Team Deutschland könnte die Stimmung fantastisch sein. Ist sie aber nicht. Grund dafür ist, dass die zweite Reihe der Nationalmannschaft einen (zu) großen Abstand zur Weltspitze aufweist – und diesen über harte internationale Rennen wie die WM in dieser Woche in Bratislava verkürzen will. Doch der Trainerrat hatte harte Nominierungsrichtlinien aufgestellt. Diese werden nun konsequent umgesetzt, sodass erstmals seit Jahren im Slalom drei der zwölf Startplätze nicht besetzt werden und in drei der vier Bootsklassen auf die Chance einer (nichtolympischen) Team-Medaille verzichtet wird.
Startklar ohne Gewissheit
Betroffen von der Nichtnominierung sind mehrere Leipziger Weltcup-Starter. Einer hat sich indes erfolgreich ins WM-Team eingeklagt: Der für Zeitz startende Canadierspezialist Timo Trummer, der mit dreitägiger Verspätung am vergangenen Freitag in Bratislava eingetroffen ist.
Der C1 der Männer ist ein Paradebeispiel für das Nominierungs-Hickhack. Als der Olympiadritte Sideris Tasiadis vor Wochen den Verzicht auf seinen WM-Platz erklärt hatte, war die Hoffnung groß, dass die drei Leipziger Trainingskollegen Franz Anton, Lennard Tuchscherer (beide LKC) und Timo Trummer das deutsche Trio in der Slowakei bilden werden. Doch am Abend vor der Abreise erfuhren die auf gepackten Koffern sitzenden Trummer und Tuchscherer, was vorher schon gemunkelt wurde: Der Bus am Folgetag sollte ohne die beiden WG-Kumpels abfahren.
Unterstützung vom Team
Nur LKC-Aushängeschild und Ex-Weltmeister Franz Anton habe bei den Weltcups die Kriterien vollumfänglich erfüllt. Doch Trummer war beim Blick auf die Kriterien fest davon ausgegangen, dass er zum Kernteam gehört und für ihn der zu erbringende Leistungsnachweis nicht gilt.
Er schaltete einen Anwalt ein, der sich mit Nominierungsfragen auskennt – und bekam Recht. Unter anderem habe Trummers Rechtsvertreter eine Schadenersatzklage nicht ausgeschlossen, sollte der Verband bei seiner Entscheidung bleiben. „Als ich in Bratislava eintraf, hat sich das ganze Team für mich gefreut. Denn viele sind der Meinung, dass bei Nominierungen immer mal wieder komische Entscheidungen getroffen werden“, so der Wahl-Leipziger.
„Eine WM ist keine Plattform, um Erfahrungen zu sammeln“
Inzwischen hatte er ein Gespräch mit Cheftrainer Klaus Pohlen. Dieser habe betont, es sei Trummers Recht, gegen die Nicht-Nominierung vorzugehen. Er werde den Athleten voll als Teammitglied akzeptieren und unterstützen. Aktivensprecher Anton hatte zuvor einen Sonderantrag zur Nominierung des Duos Tuchscherer/Trummer gestellt – und nach eigener Aussage bis heute keine Antwort erhalten: „Ich bin der Meinung: Die Sache wurde ausgesessen, bis der Meldetermin verstrichen ist.“ Ein Novum zudem: Der DKV informierte die Öffentlichkeit erst sechs Tage nach WM-Anreise über die Team-Besetzung.



Der Cheftrainer vertritt den Standpunkt: „Eine WM ist keine Plattform, um Erfahrungen zu sammeln. Wir wollen für eine WM-Teilnahme internationale Maßstäbe ansetzen und nicht automatisch die drei Besten pro Disziplin nominieren.“ Kritiker dieser Linie betonen: Dies stehe im Widerspruch zum Vorgehen bei der WM der Rennkanuten. Nach Kopenhagen wurde im gleichen Verband drei Jahre vor Olympia absichtlich ein Großteil der zweiten Reihe entsendet. Präsident Thomas Konietzko sagte auf SPORTBUZZER-Anfrage: „Das kann man nicht vergleichen. Alle Rennkanuten hatten einen Leistungsnachweis. Diesen haben nur wenige Slalomsportler bei fünf Weltcup-Chancen erbracht.“
„Für uns Sportler nicht nachvollziehbar“
Konietzko bestreitet, dass sich Trummer ins WM-Team geklagt hat: „Er hat Argumente geliefert, die er mit einem anwaltlichen Schreiben untermauert hat.“ Der Präsident räumt ein: „Wir mussten feststellen, dass unsere Kriterien interpretierbar waren. Wir wollten keinen langen Streit, der hätte nur Energie gekostet. Daher haben wir im Interesse des Athleten entschieden.“ Der daheim gebliebene Lennard Tuchscherer sagt niedergeschlagen: „Bei mir bleibt der Eindruck hängen, unser Verband will die Medaillen nicht.“ Er freue sich für Timo Trummer und sagt zu seinem eigenen Fall: „Für mich wäre es zu spät gewesen für den juristischen Weg.“
Die Titelverteidigerin und Olympiadritte Andrea Herzog (LKC) meint über das Rumpfteam: „Das wird hier ausgiebig diskutiert und ist für uns Sportler nicht nachvollziehbar. Uns wird verweigert, uns im Teamwettbewerb wie sonst mental auf die WM-Woche einzustellen und vielleicht eine erste Medaille zu feiern.“ Franz Anton sieht das vor allem im Hinblick auf die Heim-WM 2022 kritisch: „Es ist nicht gut, wenn junge Athleten in Augsburg ihre erste WM bestreiten.“ Konietzko hofft, dass bei der Heim-WM in zehn Monaten alle Disziplinen besetzt werden – trotz auch dann geltender Leistungsnachweise. „Diese sollen unsere Athleten zu besseren Leistungen motivieren.“
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