03. Dezember 2014 / 17:44 Uhr

Tore und Träume

Tore und Träume

Jan Sternberg
Dresdner Neueste Nachrichten
Die Babelsberger Mannschaft hat bisher zwei Freundschaftsspiele bestritten.
Die Babelsberger Mannschaft hat bisher zwei Freundschaftsspiele bestritten. © Benjamin Feller
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„Welcome United Nulldrei“ aus Potsdam ist Deutschlands erste Flüchtlings-Fußballmannschaft bei einem Proficlub.

Potsdam– Yousouf friert an diesem nasskalten Nachmittag auf dem Babelsberger Kunstrasenplatz. Aber fürs Mannschaftsfoto hat er extra seinen rechten Handschuh ausgezogen, um schüchtern den Daumen zu heben. Die Jungs des Potsdamer Teams Welcome United Nulldrei posieren für die Kamera, fast wie Profis. Dabei sind sie noch gar keine „richtige“ Fußballmannschaft – erst zur kommenden Saison sollen sie in der Kreisklasse Havelland um Punkte kämpfen. Aber die Männer aus Afrika, vom Balkan und aus dem Kaukasus sind jetzt schon bundesweit bekannt: Sie sind die erste Flüchtlings-Fußballmannschaft, die Teil eines deutschen Proficlubs ist. „Welcome United“, gegründet im Sommer, ist offiziell das dritte Team des Regionalligisten Babelsberg 03. Ihre Sprache ist der Fußball. Ihr gemeinsames Ziel: in Deutschland zu bleiben und eine gesicherte Existenz aufbauen zu können.

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Sonntags um 17 Uhr ist Training. Ein fester Termin im Alltag, der für viele hauptsächlich aus Warten besteht. Yousouf hat gekickt, seit er ein kleiner Junge war, auch auf der Flucht gab es immer wieder mal ein paar Mitspieler, einen Ball, zwei Tore. Er trägt einen Borussia-Dortmund-Schal und schwärmt für Brasilien. Jetzt aber braucht er erst einmal eine eigene Wohnung.

Als Yousouf Ibrahim seine Heimat verließ, war er 14. Das ist fünf Jahre her. Sein Vater war Rebellenführer im Tschad in Zentralafrika, erzählt er. Sein Bruder wurde erschossen. Yousouf machte sich auf den Weg nach Norden, durch die Wüste nach Libyen. Dort lebte sein Onkel. Nach dem Sturz des Diktators Gaddafi kam der Krieg nach Libyen. Yousoufs Onkel sagte ihm: „Entweder du stirbst in Libyen oder du machst dich auf den Weg nach Europa.“ Wenn möglich, schlag dich nach Deutschland durch, fügte er hinzu. Heute ist Yousouf 19, lebt im Potsdamer Stadtteil Drewitz und darf seine Zukunft nicht planen: Er ist geduldet, alle sechs Monate muss er zittern, ob sein Aufenthalt in Deutschland verlängert wird. „Wann bekomme ich endlich Bescheid?“, fragt er ungeduldig die Frauen in der Ausländerbehörde. „Das entscheidet das Bundesamt“, antworten sie. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber sitzt in Nürnberg, es hat kein Gesicht für einen wie Yousouf.

Sein Alltag dreht sich um das, was er nicht darf. Kein Deutschkurs, keine Ausbildung. Er nimmt privat Nachhilfe, hat ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis gemacht. Nun träumt er einen Traum – eine Ausbildung zum Zahnarzthelfer, in Potsdam zu bleiben. So lange er keinen Bescheid aus Nürnberg bekommt, bleibt das kleine Ziel unerreichbar.

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„Das ist unglaublich zermürbend“, sagt Manja Thieme. Sie betreut ehrenamtlich Flüchtlinge und ist die treibende Kraft hinter „Welcome United“. Bei Nulldrei rannte sie im Sommer offene Türen ein. Marketingleiter Thoralf Höntze und Alexander Bosch vom Fanprojekt standen sofort hinter der Idee. Der Verein stellt den Trainingsplatz, Fans und Sponsoren spendeten für Trikots und sonstige Kosten. Nächstes Jahr wollen Fans auch Deutschkurse für die Spieler anbieten. „Das ist kein Hexenwerk“, sagt Höntze, „sondern eine Frage des Wollens. Das kann eigentlich jeder Verein leisten.“

Der Fußball-Landesverband Brandenburg unterstützt das Projekt. Spielerpässe könnten nach einem vereinfachten Verfahren ausgestellt werden, sagt Präsident Siegfried Kirschen. Allerdings müsste pro forma ein Freigabeantrag beim Heimatverband gestellt werden. Sollte dieser vier Wochen lang nichts von sich hören lassen, darf der Spieler in Brandenburg gemeldet werden. Der erste Potsdamer Flüchtlingskicker hat sich bereits für höhere Aufgaben bei Nulldrei empfohlen: Torwart Valery Witang aus Kamerun wird nach der Winterpause für Babelsbergs Zweite zwischen den Pfosten stehen. Damit wird wahr, was Kirschen erhofft: „Die Spieler sollen im Verein integriert werden. Eine reine Flüchtlings-Mannschaft kann immer nur eine Übergangslösung sein.“

2015 soll die Mannschaft in der Kreisklasse spielen

  • 25 Spieler gehören zum harten Kern der Flüchtlings-Fußballmannschaft Welcome Nulldrei. Sie kommen aus elf Nationen

  • Weil die Mannschaft so bunt gemischt ist, wird im Training meistens Deutsch gesprochen.
  • Trainer Hassan Juseinov ist selbst Flüchtling: Er kam vor vier Jahren aus Mazedonien und ist in Deutschland nur geduldet – wie die meisten seiner Spieler.
  • Die Fluktuation beim Training ist groß: Manche kommen nicht wieder, weil sie abgeschoben werden oder untertauchen.
  • Im kommenden Jahr soll die Mannschaft geteilt werden – in eine Leistungsabteilung, die in der Kreisklasse antreten wird, und eine Freizeitkicker-Truppe.
  • Bisher hat Welcome United Freundschaftsspiele absolviert, hauptsächlich gegen andere Flüchtlings-Teams: Gegen Lampedusa Hamburg konnte man gewinnen, gegen Champions ohne Grenzen Berlin setzte es am vergangenen Sonntag auf eigenem Platz eine 2:5-Niederlage.
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