15. Mai 2020 / 11:06 Uhr

Der VfL und der Neustart: Regulierte Emotionen auf dem Weg nach oben

Der VfL und der Neustart: Regulierte Emotionen auf dem Weg nach oben

Andreas Pahlmann
Wolfsburger Allgemeine / Aller-Zeitung
Es bleibt leer in den Stadien - in Wolfsburg und anderswo
Es bleibt leer in den Stadien - in Wolfsburg und anderswo
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Die Liga geht wieder los, der VfL Wolfsburg spielt in Augsburg. Mit normalen Samstagnachmittagen hat das allerdings nicht viel zu tun.

Der Profi-Fußball ist ein Wirtschaftsunternehmen. Er stellt öffentliches Interesse her, das ist seine Ware. Diese Ware verkauft er ans Fernsehen. Kann er diese Ware nicht mehr herstellen, dann geht er als Ganzes oder in Teilen Pleite. So einfach ist das.

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Das hat natürlich niemand in den letzten Wochen genau so gesagt. Aber zusammengefasst ist das die Argumentation, mit der der VfL Wolfsburg, die anderen Profi-Klubs und die DFL dafür plädiert haben, doch bitte den Bundesliga-Fußball wieder rollen zu lassen. Begleitet wurde diese Diskussion von ein paar Neben-Argumenten („Den Menschen Abwechslung bieten“, „Vorbild für andere Ligen und Sportarten sein“) und einem allen Anschein nach wirklich sehr guten Hygiene-Konzept, das nicht nur das Ansteckungsrisiko rund um Spiele und Training minimiert, sondern auch ganz anschaulich deutlich macht, dass längst nicht wieder alles normal läuft, nicht einmal beim Fußball. Spätestens wenn sich Daniel Ginczek und Maximilian Arnold beim Torjubel am Samstag vor leeren Rängen nur ganz zärtlich mit den Ellenbogen berühren, wird klar werden: Wenn die Bundesliga eine selbst in ihren Emotionen hochgradig regulierte Geistersaison spielt, hat das mit normalen Samstagnachmittagen nicht viel zu tun.

So läuft beim VfL das Training mit Abstand

Koordinationstraining im Kraftraum: John-Anthony Brooks. Zur Galerie
Koordinationstraining im Kraftraum: John-Anthony Brooks. ©

Um Demut bemüht

Das lässt sich für einen begrenzten Zeitraum aushalten. Und es ist einen Versuch wert, auch wenn kurz vor dem Re-Start der Liga noch lange nicht klar ist, ob alles wie geplant klappt. Die Mannschaftsquarantäne in Dresden, die den engen Spielplan empfindlich stört, hat klargemacht, dass die Wiederaufnahme des Spielbetriebs erst einmal nichts anderes ist als ein Experiment. „Auf tönernen Füßen“, stünde das alles, hat Gladbach-Sportdirektor Max Eberl zugegeben, es dürfe nun „nicht mehr viel passieren“, hat Wolfsburgs Manager Jörg Schmadtke beigepflichtet. Und DFL-Chef Christian Seifert, um Demut bemüht, sagte sogar: „Jeder Spieltag ist eine Chance zu beweisen, dass wir den nächsten verdient haben.“ Ein bemerkenswerter Satz in einer Branche, die normalerweise Monate im Voraus sekundengenau festlegt, wann der Schiedsrichter vorm Spiel den Ball in die Hand zu nehmen hat.

Dass Corona vieles verändert, ist allen klar. Was genau Corona verändert, erleben wir gerade Tag für Tag neu. Ab Samstag probiert das nun auch die Liga aus. Zu den spannendsten Fragen gehören: Wie schnell lässt der Fußball die Diskussion um das Für und Wider des Re-Starts hinter sich und konzentriert sich wieder auf die sportlichen Details? Fokussiert sich das öffentliche Interesse wie gewohnt darauf, welcher Abwehrspieler schlecht steht, wie gut das Umschaltspiel funktioniert, welcher Trainer als nächster gehen muss und ob die Bayern am letzten Spieltag in Wolfsburg jubeln? Oder sieht der Unterhaltungswert der Ware Fußball plötzlich ganz anders aus und wir reden auch nach den Spielen gegen Dortmund und in Leverkusen immer noch darüber, ob der Trainer seinen Mundschutz ordentlich getragen hat, ob irgendwer in Quarantäne muss und ob die gesellschaftliche Akzeptanz für diese Geisterliga groß genug ist? Wie richtet sich der Fußball ein, zwischen Videobeweis und Virenschutz?

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Und sollte sich herausstellen, dass wir vor dem Fernseher den Rest dieser Saison mit ähnlicher Aufmerksamkeit und sportlicher Begeisterung verfolgen wie früher, kommen schon die nächsten Fragen. Wie geht’s aus? Und wie stehen die Chancen des VfL, wie in der vergangenen Spielzeit den Sprung nach Europa zu schaffen?

Kein Heimvorteil mehr?

Viel wird davon abhängen, welche Mannschaften am besten damit klarkommen, Woche für Woche ohne Zuschauer-Unterstützung und Stadion-Atmosphäre zu spielen. „Mannschaften, die sehr von Emotionen leben, die den Push von außen brauchen, für die wird es ein bisschen schwerer werden“, glaubt Schmadtke. „Mannschaften, die von sich aus eine hohe Intensität an den Tag legen können, haben es vielleicht ein bisschen leichter. Aber das wird man sehen.“

Der Heimvorteil, da sind sich alle einig, fällt in der gewohnten Form weg. Für den VfL, der als Siebter in die Restsaison geht, muss das kein Nachteil sein, denn er ist in dieser Spielzeit ohnehin nicht sehr heimstark: Auf fremdem Platz gab es fünf Siege in zwölf Spielen (Rang sieben in der Auswärtstabelle), in der VW-Arena nur vier Siege in 13 Spielen (Rang zwölf in der Heimtabelle). Dafür wird aus dem Heim- vielleicht ein Standortvorteil. Denn auf dem VfL-Gelände mit seiner guten Infrastruktur und seiner unmittelbaren Nähe zum Quarantäne-Hotel Ritz-Carlton ließen und lassen sich der Trainingsbetrieb unter den Regeln der Corona-Krise weit besser umsetzen als in fast allen anderen Bundesliga-Standorten. Und: Wolfsburg hat frische Geisterspielerfahrung, musste schon die Europa-League-Partie gegen Donezk ohne Zuschauer absolvieren.

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Gute Vorzeichen also für den VfL auf dem Weg nach oben – aber nur, wenn man sich angesichts der vielen offenen Fragen überhaupt traut, Vorzeichen zu lesen. „Wir sind mittelständische Unternehmen, die sich mit einer Geschichte beschäftigen, die 80 Millionen Menschen in Deutschland begeistert. Wir erzeugen ein Produkt“, hat Schmadtke im Zuge der Re-Start-Diskussion erklärt. Für wie viel Begeisterung es unter den neuen Bedingungen wirklich sorgen kann, werden der VfL-Auftakt in Augsburg und die anderen 81 noch ausstehenden Spiele zeigen. Dass Fußball spannend ist, weil man nie weiß, wie es ausgeht, hat schon Sepp Herberger gewusst. Jetzt werden wir einen Fußball erleben, von dem man nicht weiß, wie er sich anfühlt. Und das dürfte auf eine ganz neue Art auch spannend werden.

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