Herausragendes Spiel, herausragender Schiedsrichter: "Das war sensationell und echt Weltklasse, wie Marciniak das Spiel geleitet hat. Sein Auftreten, der Umgang mit den Spielern, die Kommunikation und die bestechenden Zweikampfbeurteilungen waren beeindruckend. Er hat einfach sowas von überzeugend gepfiffen", schwärmt der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati im Gespräch mit dem SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), von der Leistung des Polen Szymon Marciniak im WM-Finale zwischen Argentinien und Frankreich.
Die Leistung des 41-Jährigen in Zusammenarbeit mit seinen beiden Assistenten Paweł Sokolnicki und Tomasz Listkiewicz sowie dem Vierten Offiziellen Ismail Elfath wurde von vielen Seiten gelobt. Polnische Medien zitierten FIFA-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina mit den Worten: "Er war stärker als die heutige Technik und hat unglaublich präzise Entscheidungen getroffen."
Zu diesen Entscheidungen gehörten unter anderem drei "absolut berechtigte Elfmeter-Pfiffe", wie Rafati meint. Zudem zeigte Marciniak dem Gladbacher Marcus Thuram wegen einer Schwalbe Gelb, andere Situationen ließ er oft ohne Karte durchgehen. "Bei den ersten beiden klaren Foulspiele hätte man eigentlich Gelb geben müssen. Aber er hat es mit seiner Art der Kommunikation super gelöst und auf beiden Seiten jeweils eine Aktion durchgehen lassen. Dadurch steigt die Akzeptanz bei den Spielern enorm. Das hat man auch sehr gut bei dem Handspiel des Argentiniers Gonzalo Montiel kurz vor Ende gesehen – da hat sich fast keiner beschwert", sagt Rafati.
Rafati sieht von Schiedsrichtern "insgesamt sehr durchwachsene Leistungen"
Der frühere FIFA-Schiedsrichter nahm dem Polen auch die ein, zwei kleinen Fehler nicht übel. "Wenn du so eine Spielleitung hinlegst, darfst du dir das erlauben. Er hat die Linie der WM im Finale komplett durchgezogen – wenig Karten und viel über die Persönlichkeit kommen", sagt der Hannoveraner, der so eine Weltklasse-Leistung bei keinem anderen Referee bei diesem Turnier verzeichnete: "Das waren insgesamt sehr durchwachsene Leistungen." Dabei sei den Unparteiischen aber zugutegekommen, dass Debatten wie die über die "One Love"-Binde oder die Menschenrechtslage im Gastgeberland den Fokus von den Schiedsrichtern etwas genommen hätten.
Besonders negativ in Erinnerungen bleibt Rafati aber beispielsweise der Wirbel im Frankreich-Spiel gegen Tunesien in der Gruppenphase. Schiedsrichter Matt Conger hatte die Partie nach einem Treffer von Antoine Griezmann wieder angepfiffen und danach gleich abgepfiffen und das Tor nach Intervention des Video-Assistenten aber wegen einer Abseitsstellung des Franzosen doch noch aberkannt. "Ein Regelverstoß, da das Spiel wieder fortgesetzt war. Und das bei einer WM", kritisiert Rafati. Zudem erinnert sich der Ex-Referee noch stark an den desolaten Auftritt von Antonio Mateu Lahoz in der Viertelfinal-Partie Argentinien gegen die Niederlande, als der Spanier 15 Gelbe Karten verteilte. "Die Leistungen waren auf keinem hohen Niveau. Es gibt ein paar Lichtblicke, aber auch ganz viel Schatten", resümiert Rafati.
Aus deutscher Sicht sei die WM auch eher enttäuschend verlaufen. Die Uruguayer hatten sich bei Daniel Siebert heftig über einen nicht gegebenen Elfmeter in der Schlussphase beschwert. Danach war das Turnier für den 38-Jährigen beendet. "Aufgrund des frühen Ausscheidens der deutschen Nationalmannschaft stand die Tür für Siebert extrem weit offen. Er hat aber seine Form wie auch schon vor dem Turnier in der Bundesliga oder Champions League noch nicht wiedergefunden", meint Rafati.
Rafati: Nachspielzeitauslegung "unsinnig und gesundheitsgefährdend"
Wenn Siebert in der Bundesliga wieder zum Einsatz kommt, muss er sich auf leichte Veränderungen im Vergleich zur WM einstellen. Mit einer halbautomatischen Abseitstechnologie oder einer irren Nachspielzeit (10 Minuten und elf Sekunden im Durchschnitt pro WM-Spiel) rechnet Rafati aber auch in naher Zukunft in Deutschland nicht. "Eine halbautomatische Abseitslinie würde sicherlich helfen. Man muss da gucken, was die FIFA am Ende vorgibt. Die Bundesliga würde sich aber niemals für eine ähnliche Regelung der Nachspielzeitauslegung aussprechen", ist Rafati überzeugt: "Das ist unsinnig und gesundheitsgefährdend."
Der frühere FIFA-Schiedsrichter würde sich hingegen wünschen, dass die Bundesliga-Verantwortlichen im Bereich der Persönlichkeit etwas von der WM "abgucken". Laut Rafati sollte man in Deutschland mehr über die Kommunikationsebene arbeiten und nicht so "streng" die Gelben Karten zücken. "Denn auch die Vereine fordern schon seit Jahren, das man nicht mehr so kleinlich handeln soll", sagt der 52-Jährige.
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