17. Dezember 2022 / 14:17 Uhr

Unterwegs in Rosario: So fiebert die Heimatstadt von Lionel Messi dem WM-Finale entgegen

Unterwegs in Rosario: So fiebert die Heimatstadt von Lionel Messi dem WM-Finale entgegen

Tobias Käufer
Hannoversche Allgemeine / Neue Presse
Die Stadt Rosario fiebert mit Lionel Messi mit.
Die Stadt Rosario fiebert mit Lionel Messi mit. © IMAGO/NurPhoto
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Lionel Messi greift nach seinem ersten WM-Titel. Der 35 Jahre alte Superstar kann damit seine einmalige Karriere und Argentiniens Sommermärchen krönen. In seiner Heimatstadt Rosario fiebern die Menschen dem Anpfiff entgegen – ihr "Leo" ist hier allgegenwärtig.

So kurz vor dem WM-Finale ist Mónica Elisa Dómine aufgeregt und nervös. Zum Gespräch mit dem SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), bringt die Rentnerin ein paar handgeschriebene Zeilen mit. "Damit ich nichts vergesse", sagt Dómine. Sie war Grundschullehrerin von Lionel Messi. Als der kleine Leo noch mit dem Ranzen zur Schule ging und von einer Weltkarriere nichts zu ahnen war, saß er in der Grundschule Nr. 66 "Las Herras" in der Klasse. "Damals konnte man natürlich nicht wissen, wohin der Weg dieses Jungen einmal führen wird", sagt Dómine.

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Ihre Kollegin Andrea Liliana Sosa weiß um die Bedeutung, die Messi für die Kinder in dieser Schule hat. "Sie bewundern ihn. Sie wollen so sein wie er. Und wenn sie herausfinden, dass wir seine Lehrer waren, dann wollen sie wissen, wie er damals so war", sagt Sosa. Er sei ein leuchtendes Vorbild. "Wir sagen ihnen, dass sie es so machen sollen wie er. Denn Lionel hat für die Erfüllung seines Traums gekämpft." Dann zeigt sie ein paar alte Bilder, auf denen der kleine Leo zu sehen ist.

Grundschullehrerin über Messi: "Er war sehr bescheiden"

„Woran ich mich erinnern kann, war sein Lächeln, sein Respekt vor mir, seine Ruhe im Klassenzimmer. In der Pause war er dann ganz aufregt wie ein Eichhörnchen. Dann ist er raus und hat die Gruppe angeführt. Aber man hat gemerkt, dass er andere Menschen respektiert. Und er war sehr bescheiden.“

Gleich neben der Schule gibt es auf einem Wasserspeicher eine Wandmalerei. Sie zeigt den jungen Messi im roten Trikot seines Jugendklubs Newell’s Old Boys und im heutigen Dress der argentinischen Albiceleste – den Weißhimmelblauen. Luca stellt sich zum Foto auf und macht Messi nach, als er den Fotografen sieht. Alle Kids kennen diesen Jubel mit den nach oben erhobenen Zeigefingern. Eine Geste, die Messi mit dem Himmel verbindet. Vielleicht auch mit Diego Maradona. „Messi ist für mich der Allergrößte. Ich verehre ihn so sehr“, sagt Luca. „Natürlich werden wir am Sonntag gewinnen und Messi wird das entscheidende Tor schießen“, ist der Zwölfjährige überzeugt. Dann ruft ihn seine Mutter zu sich.

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Lionel Messi: Die Meilensteine seiner Karriere

In Katar gewinnt Lionel Messi erstmals den WM-Titel. Der SPORTBUZZER zeichnet die Meilensteine in der außergewöhnlichen Karriere des Argentiniers nach. Zur Galerie
In Katar gewinnt Lionel Messi erstmals den WM-Titel. Der SPORTBUZZER zeichnet die Meilensteine in der außergewöhnlichen Karriere des Argentiniers nach. ©

Eine knappe halbe Autostunde entfernt von der Grundschule steht das schlichte graue Haus an der Straße Lavalleja 400. Hier ist Messi geboren. Es liegt in der Industriestadt Rosario, gut drei Stunden nördlich von Buenos Aires. Aktuell gleicht es einer Pilgerstätte. Obwohl Rosario wegen der Meldungen über Gewalt und den wachsenden Einfluss des Drogenhandels eher unsexy ist. "Aus einer anderen Galaxie, aber aus meinem Viertel" haben sie auf die Mauer geschrieben. Es soll die beiden Welten beschreiben, in denen Messi zu Hause ist. Die Bodenständigkeit, die ihn in Rosario auszeichnet und die Einzigartigkeit auf dem Platz, wenn er Zauberpässe spielt, wie zuletzt im WM-Viertelfinale gegen die Niederlande. Dann ist er der Außerirdische.

Rosario lebt, fühlt und repräsentiert Messi - und umgekehrt ist es genauso

Kurz vor dem Endspiel am Sonntag (16 Uhr/ARD und MagentaTV) ist die Anspannung und Vorfreude überall in Rosario zu spüren. Irgendwie fühlen es alle, dass es diesmal endlich so weit ist. Offizielle Trikots mit der Nummer 10 sind ausverkauft, dafür machen Schwarzmarkthändler mit billigen Kopien noch ein Riesengeschäft. "Die Leute sind im Ausnahmezustand", so die Verkäuferin. "Alle wollen sich noch einmal in den Nationalfarben einkleiden." Die Stadt lebt, fühlt und repräsentiert Messi. Und umgekehrt ist es genauso. Dass Messi seine Jugendfreundin aus Rosario heiratete und bis heute mit Antonella zusammen ist, auch das schätzen sie hier. Für die Überraschungen ist ja noch der Fußballplatz da.

Für Rosario, geplagt vom Drogenkrieg, von Gewalt und fast 200 Morden allein in diesem Jahr, ist das internationale Interesse an Messi ein Glücksfall. Es kommen internationale TV-Teams, die nicht über Gewalt berichten wollen, sondern über Messis Erfolgsstory. Acht Jahre mussten Argentinien und Messi nach dem verlorenen Finale gegen Deutschland (0:1) auf eine zweite Chance warten. Nun soll es klappen. Nun soll Messi seine Karriere krönen. "Die ganze Stadt drückt ihm die Daumen", sagt der ehemalige Nachbar Carlos. "Ich gönne es ihm, weil er trotz seines großen Erfolges stets mit beiden Beinen auf der Erde geblieben ist. Er ist einfach ein guter Junge." So sieht es auch Renato. "Messi repräsentiert uns. Er sorgt dafür, dass wir uns freuen können. Glücklich sind. Das ist in Zeiten wie diesen enorm wichtig", sagt der Taxifahrer.

Hintergrund: Mit 88 Prozent Inflation ist der Alltag für die meisten Menschen in Argentinien ein einziger Überlebenskampf. Die Armutsrate stieg noch einmal auf 40 Prozent. Fast 18 Millionen Argentinier gelten somit als arm, ein Teil von ihnen weiß nicht einmal, wie die nächste Mahlzeit auf den Tisch kommen soll. Die Politik ist zudem zerstritten, die Vizepräsidentin Cristina Kirchner gerade wegen Korruption zu sechs Jahren Haft verurteilt. Sie spricht von politischer Verfolgung. Die Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Inmitten dieser Gemengelage kommt das argentinische Sommermärchen zur rechten Zeit. Endlich einmal können auch die Argentinier erleben, was es heißt, eine WM im Sommer zu sehen. Zum Public Viewing strömen Zehntausende – auch in Rosario. Alle wollen dabei sein.

Im modernen Sportmuseum der Provinz Santa Fe ist die Hoffnung der Menschen grafisch aufgearbeitet. Auf einer Schauwand steht inmitten der beiden mit überlebensgroßen Fotos gewürdigten WM-Titel 1978 mit Mario Kempes und 1986 mit Maradona auch der WM-Pokal. "La Esperanza" (Die Hoffnung) steht da zu lesen. Angel di Maria und Messi, die beide maßgeblichen Anteil am ersten Copa-America-Sieg seit 1993 hatten, liegen sich jubelnd in den Armen. Möglich gemacht hat diesen Erfolg natürlich Messi. Ausgerechnet im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro gegen den Erzrivalen Brasilien endete die titellose Zeit der Argentinier. Da haben Messi und Co. gemerkt: Wir können auch als Nationalmannschaft Titel gewinnen. Nun steht der Copa-Pokal im Museum und schreit nach einem neuen Nachbarn.

Aus Rosario kommen auch Nationalcoach Scaloni und Trainerlegende Menotti

Wer herumspaziert, erlebt mit, welche Bedeutung die Stadt Rosario für den argentinischen Fußball hat. Aus Rosario stammt der aktuelle Nationaltrainer Lionel Scaloni, auch der legendäre WM-Trainer von 1978, Cesar Luis Menotti, erblickte dort das Licht der Welt. Die Liste prominenter Fußballer und Trainer, die aus Rosario hinaus in die Welt gezogen sind, ist bemerkenswert.


Doch über allem thront Messi. Er ist in Rosario allgegenwärtig. Messi prägt das Stadtbild, wenn in den Fenstern der Hochhäuser das Trikot mit seiner Nummer 10 zu sehen ist. Die Menschen haben es aufgehängt, um ihre Solidarität zu zeigen. Messi gibt es als Wandmalerei auf der Mauer zum Schulhof, auf den Sportplätzen tragen alle Kinder Messis Nummer 10. Seit Kurzem überragt ein riesiges Messi-Graffiti am Ufer des Flusses Parana das Stadtbild. Sollte er am Sonntag tatsächlich den WM-Pokal gewinnen, werden noch weitere Bilder hinzukommen – das ist sicher. Einen solchen historischen Moment werden sie in Rosario zu würdigen wissen. In drei Tagen vielleicht könnte Messi dann dort persönlich stehen. An der Seite seines Trainers und seiner Stadt den goldenen Pokal zeigen. Dann wäre der Kreis geschlossen. Und ganz Rosario hätte es miterlebt.

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