Schon im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Katar hat sich der ehemalige Augsburger und Schalker Bundesliga-Trainer Manuel Baum intensiv mit den beim Turnier im Wüstenemirat antretenden Mannschaften auseinandergesetzt. Mit einem insgesamt neunköpfigen Team von Analysten beleuchtet der 43-Jährige die taktischen Kniffe der WM-Teilnehmer aus allen erdenklichen Blickwinkeln. Beim SPORTBUZZER, dem Sportportal des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), erklärt er zu den Top-Spielen des Turniers, was die Teams ausmacht, wo es haken könnte und worauf man achten sollte. Abschließend sagt Baum ein mögliches Spielszenario voraus. Heute: der Blick auf das Viertelfinale zwischen Marokko und Portugal (16 Uhr/ZDF und Magenta TV).
Manuel Baum, ehemaliger Bundesliga-Trainer, ist während der WM für Magenta TV als Analyst und Kommentator aktiv. Magenta TV zeigt alle WM-Spiele live [Anzeige].
MAROKKO
Warum steht Marokko zurecht im Viertelfinale? Weil sie bisher im Turnier nur ein (Eigen-)Gegentor (1:2 Kanada) zugelassen haben und damit ihre defensive Kompaktheit eindrucksvoll unter Beweis stellten. Spanien hat sich trotz 76% Ballbesitz die Zähne an den dicht gestaffelten marokkanischen Reihen ausgebissen. Marokko spielt mit und gegen den Ball im 4-1-4-1 und normalerweise wären die Halbräume dadurch etwas geöffnet. Indem die Spieler aus der ersten Kette sich ballfern etwas tiefer fallen lassen, schaffen sie es, die Abstände sehr gering zu halten.
Sie haben kein Problem, lange aus dem Abwehr-/Mittelfeldpressing zu verteidigen und dabei konsequent aus der Kette herauszustechen und den ballführenden Gegner zu attackieren. Bei Balleroberungen schalten sie sehr schnell und zielstrebig um und spielen ca. 40% der Pässe vertikal nach vorne (Spanien nur 25%) und sind dadurch schnell an der Box. Außergewöhnlich ist die hohe Laufleistung des Mittelfeldes (Amrabat 14,6 Km n.V.) im letzten Spiel.
Zusammenfassend: defensiv sehr kompakt, hohe Laufbereitschaft, schnelles Umschalten besonders über die Flügel, leichte Schwächen in der Chancenverwertung.
PORTUGAL
Portugal hat eindrucksvoll gegen die Schweiz mit 6:1 gewonnen. Grund war ein Fehler des Schweizer Coaches Murat Yakin in der Aufstellung mit 5er-Kette, die an den Gegner angepasst war, aber sein Team normalerweise so nicht spielt. Die Portugiesen fanden schnell Lösungen für die gegnerische Überzahl im Spielaufbau im Zentrum, indem sie sich aus den Pressingräumen zur Seite wegbewegten. Zwei Tore zur Halbzeit, gaben den Portugiesen die Sicherheit und den Raum, um weitere Lücken in der Schweizer Defensive zu finden. Das Spiel war nach zwei weiteren Toren Portugals in der 51. und 55. Minute entschieden.
Auffällig war die Fähigkeit der Offensivspieler, variabel die Positionen zu wechseln (im 4-3-3 oder 4-2- 3-1) und den Gegner durchzubewegen. Das Offensivdreieck Silva-Fernandes-Félix spielte (ohne Ronaldo) sehr befreit auf und hat große Qualität im frontalen Eins-gegen-eins Überzahl zu erzeugen und Stürmer Ramos freizuspielen. Schwächen bestehen im Spielaufbau von Oldie Pepe (12 Ballverluste) und in der Geschwindigkeit der Innenverteidiger bei schnellen Kontern.
Zusammenfassend: taktisch variabel, technisch außergewöhnlich, Schwächen in der Rückwärtsbewegung.
Mögliches Spielszenario:
Marokko hat keinen Grund, seine bewährte Taktik zu ändern. Sie werden den Gegner im 4-1-4-1 mit Amrabat in der Zentrale erwarten und dann den Gegner in ihrer Hälfte zermürben. Die Spielanlage von Portugal ist der von Spanien ähnlich und Marokko wird die physische Überlegenheit einsetzen, um die portugiesischen Spieler in Zweikämpfe zu verwickeln, um damit den Spielrhythmus zu stören. Je länger das Spiel dauert und offen ist, steigen die Chancen von Marokko und auch ein Elfmeterschießen brauchen sie mit Torwart Bono nicht zu fürchten. Best case: Das Spiel ist lange offen; ein Konter reicht.
Portugal wird das Spanienspiel analysiert haben und sehen, dass es kaum Möglichkeiten gibt, durchs Zentrum zu spielen. Daher sind die offensiven Flügelspieler gefordert, in den Rücken der Abwehr zu kommen und Flanken von der Grundlinie zu bringen. Hier könnte Portugal mit einer oder zwei Spitzen agieren (Ramos, Ronaldo, Leao), so dass die Box mit guten Kopfballspielern zentral besetzt ist. Mit zunehmender Spieldauer, besteht besonders auf der linken Seite hinter dem sehr hochschiebenden Guerreiro, die Gefahr von tiefen Konterräumen für Marokko. Best case: Ein frühes Tor, Marokko muss öffnen, Konterchance auf zweites Tor
Unser Tipp: Vorteile Portugal 2:0 (je länger das Spiel offen ist, eher 1:0 Marokko)